Das Kniegelenk: Propriozeption in der Praxis

Zertifiziert in D, A bis 25.04.2025, 2 CME-Punkt(e), Faxteilnahme möglich

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Die Propriozeption ist für die Steuerung von Bewegungsabläufen essenziell. Sie beschreibt Wahrnehmungen aus dem Körper: die Stellung der Gliedmaßen zueinander, die Richtung und Geschwindigkeit von passiven und aktiven Gelenkbewegungen und den Widerstand, gegen den eine Bewegung durchgeführt wird. Die für die Propriozeption verantwortlichen Sensoren bezeichnet man als Propriozeptoren. Diese befinden sich in Gelenken, partizipierender Muskulatur, Sehnen, Bändern, Bindegewebe und der über den Gelenken liegenden Haut. Durch Trauma, Arthrose oder einen chirurgischen Eingriff kommt es oft zur Störung von Rezeptoren und damit zu einer direkten Beeinträchtigung der Propriozeption.
Diese CME-Fortbildung erläutert die Bedeutung der Propriozeption für den Bewegungsapparat sowie das Zusammenwirken von Gelenkstabilität, motorischer Kontrolle und Propriozeption.
Die Funktion und Wirkungsweise von Bandagen und Orthesen sowie deren Einsatz bei Arthrose, Arthritis, bei akuten Verletzungen sowie in der Rehabilitation werden erläutert.

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Zertifiziert in:D, A
Zeitraum:26.04.2024 - 25.04.2025
Punkte:2 CME-Punkte
VNR:2760602024187560007
Zertifiziert von:Landesärztekammer Hessen
Faxteilnahme:Ja
Autor/innen:Prof. Dr. med. Stefan Sell
Sponsor:
Veranstalter:health&media GmbH

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Kursinhalt

Einführung

Die Natur hat den Menschen mit einem komplex verschalteten Nerven- und Informationssystem ausgestattet, das ihm ermöglicht, Reize wahrzunehmen und darauf angemessen zu reagieren. Propriozeption erfasst die Wahrnehmung der Stellung der Gliedmaßen zueinander, der Bewegung der Gelenke und des Widerstandes gegen den eine Bewegung ausgeführt wird. Sie ist essenziell für die Steuerung von Bewegungsabläufen. Durch Trauma, degenerative Krankheitsprozesse oder chirurgischen Eingriff kommt es jedoch häufig zur Störung von Rezeptoren und damit zu einer direkten Beeinträchtigung der Propriozeption.

Diese Fortbildung erläutert die Funktionsweise des propriozeptiven Systems und seine Bedeutung. Sie stellt dar, wie Bandagen und Orthesen ihre Wirkung über eine Stärkung der Propriozeption entfalten und in der Prävention, Behandlung und Rehabilitation von Verletzungen am Knie- und Sprunggelenk effektiv eingesetzt werden können.

Propriozeptoren – sensible Strukturen der Propriozeption

Die für die Propriozeption verantwortlichen Sensoren bezeichnet man als Propriozeptoren. Lokalisiert sind die Propriozeptoren in Gelenken, partizipierender Muskulatur, Sehnen, Bändern, Bindegewebe und der über den Gelenken liegenden Haut. Sie sind Voraussetzung für die Steuerung der Motorik.

Zu den Propriozeptoren gehören:

  • Muskelspindeln in der Skelettmuskulatur,
  • Sehnenorgane (Golgi-Sensoren) in den Muskelsehnen,
  • Mechanorezeptoren in Gelenkkapseln, Bändern, Bindegewebe und der über den
    Gelenken liegenden Haut.
Muskelspindeln sind Dehnungsrezeptoren und mit afferenten Nervenendigungen, den Ia-Fasern, ringförmig umwickelt.

Die Propriorezeptoren der quergestreiften Skelettmuskulatur bezeichnet man als Muskelspindeln (Fusus neuromuscularis). Die Dichte der Muskelspindeln ist je nach Funktion der Muskulatur sehr unterschiedlich. Muskeln, die sehr differenzierte Bewegungen ausführen, z. B. die Muskulatur der Augen, der Hände und des Nackens, haben die höchste Dichte an Muskelspindeln.

Muskelspindeln sind Dehnungsrezeptoren. Die Dehnung eines Muskels bewirkt zugleich eine Dehnung der Muskelspindeln. Die Muskelspindeln sind mit afferenten Nervenendigungen, den Ia-Fasern, ringförmig umwickelt (Abb. 1). Über die dicken, markhaltigen Ia-Fasern wird die Erregung mit hoher Geschwindigkeit (70-120 m/s) in das
Rückenmark geleitet.

Abb. 1: Muskelspindel [www.julius-ecke.de]

Die Dehnungsrezeptoren der Sehnen bezeichnet man als Sehnenspindeln (Fusus neurotendineus). Sie werden durch mechanischen Druck aktiviert und registrieren den Spannungszustand im Muskel-Sehnen-System. Die Sehnenspindeln liegen am Muskel-Sehnen-Übergang. Die von der Sehnenspindel abgehenden Afferenzen sind dicke markhaltige Ib-Fasern (70-120 m/s).Kommt es neben der Längenveränderung (Muskelspindeln als Sensoren) zu einer Spannungszunahme des Muskels, reagiert die Sehnenspindel.

Als Gelenkrezeptoren bezeichnet man bestimmte Mechanorezeptoren, die auch in der Haut und im Bindegewebe vorkommen. Bei allen Mechanorezeptoren kommt es nach kurzer Zeit zu einer Adaptation an gleichbleibende Reize. Dadurch bleiben die Rezeptoren empfindlich für die Erfassung neuer Reizsituationen. Mechanorezeptoren werden nach ihrem Adaptionsverhalten eingeteilt. In der Literatur findet man häufig auch die histologischen Bezeichnungen, die die Namen der Erstbeschreiber der Rezeptoren tragen (Abb. 2).

Als Gelenkkapselorgane sind vor allem Ruffini-Körperchen und Vater-Pacini-Lamellenkörperchen von Bedeutung. Diese Rezeptoren geben Informationen über die Gelenkstellungen.

Reflexe, ausgelöst durch Dehnung:

Reflexe sind bereits auf der Ebene des Rückenmarks möglich. Eine plötzliche Dehnung von Gewebestrukturen, in denen sich spezielle Sinneszellen befinden, kann die Ursache für den sog. Dehnungsreflex sein. Bei einer plötzlichen Elongation eines Skelettmuskels werden die darin eingebetteten Muskelspindeln aktiviert. Ihr Aktionspotenzial wird weitergeleitet über α(Ia)-Fasern und β(Typ II)-Fasern, die sich beide über die Hinterwurzel zum Vorderhorn des Rückenmarks ziehen. Dort innervieren sie direkt die α-Motoneurone desselben Muskels, was eine Kontraktion dieses Muskels auslöst. Wird ein Muskel passiv gedehnt, z. B. beim Umknicken eines Fußes oder beim Gehen auf unebenem Grund, wird diesen ungewollten Bewegungen über Reflexe entgegengewirkt [1].

Einteilung der Mechanorezeptoren [2]:

SA (»slowly adapting«):
SA-I-Rezeptoren oder Merkel-Scheiben reagieren vor allem auf senkrechten Druck.
SA-II-Rezeptoren oder Ruffini-Körperchen reagieren vor allem auf Dehnreize.

RA (»rapidly adapting«):
RA-Rezeptoren oder Meissner-Körperchen reagieren vor allem auf Bewegungsreize.

PC (sehr schnell adaptierende Rezeptoren):
PC-Rezeptoren, Pacini Corpuscle oder Vater-Pacini-Lamellenkörperchen reagieren vor allem auf Vibrationsreize.

Abb. 2: Übersicht der Eigenschaften von Mechanorezeptoren [www.julius-ecke.de]

Was ist Propriozeption?

Der Begriff basiert auf zwei lateinischen Wörtern: Proprium = das Eigene und Receptio = die Aufnahme. Die Bezeichnung wurde von C.S. Sherrington geprägt, der sie 1906 erstmals in einer Publikation [3] verwandte. Propriozeption beschreibt also Wahrnehmungen aus dem eigenen Körper und zwar:

  • die Stellung der Gliedmaßen zueinander,
  • die Richtung und Geschwindigkeit von passiven und aktiven Bewegungen der
    Gelenke und
  • den Widerstand, gegen den eine Bewegung durchgeführt wird (Kraft).

Die Propriozeption hat somit eine große Bedeutung für die Funktionalität des Stütz- und Bewegungsapparates. Für die Rezeption des Kraftsinns sind in erster Linie Muskelspindeln und Sehnenrezeptoren verantwortlich. Der Bewegungssinn wird vor allem von den Rezeptoren der Gelenkkapseln und der Bänder vermittelt. Auch die Informationen über die Winkelstellung der Gelenke werden maßgeblich von den genannten Rezeptoren erfasst.

Die von den Propriozeptoren empfangenen Informationen gelangen über afferente Bahnen über die Hinterwurzel (Radix posterior sensoria) in das Rückenmark. Von dort werden die mechanosensorischen Informationen vor allem durch das Hinterstrangsystem zu den spezifischen Thalamuskernen geleitet. Die zum Thalamus aufsteigenden Bahnen enden vorwiegend im Gyrus postcentralis. Hier besteht eine den Körperregionen zugeordnete Somatotopie. Die sensorischen Zuflüsse zum Kortex können an allen Umschaltstationen (Rückenmark, Medulla oblongata und Thalamus) durch absteigende efferente Bahnen aus dem Kortex gehemmt werden.

Bedeutung der Propriozeption für den Bewegungsapparat

Die Propriozeption ist essenziell für die Steuerung von Bewegungsabläufen und die Gelenkstabilität.

Propriozeptive Informationen sind Sinneswahrnehmungen. Zu diesen gehören auch visuelle Informationen und Wahrnehmungen des Gleichgewichtsorgans (Abb. 3).

Die Propriozeption ist essenziell für die Steuerung von Bewegungsabläufen und die Gelenkstabilität [4]. Umgekehrt bedeutet dies, dass eine Störung der Propriozeption mit einer Minderung des Koordinationsvermögens und / oder der Muskelaktivierung (Recruitment) einhergeht [5-7]. Störungen der Sensomotorik führen zu Beeinträchtigungen in der Bewegungsplanung – zur Dyspraxie. Eine der möglichen Ursachen kann eine propriozeptive Sensibilitätsstörung sein (rezeptive Dyspraxie). Dieses Defizit lässt sich in einem bestimmten Maß durch das Bewusstsein ausgleichen, so kann sich beispielsweise die Bewegung bessern, so lange die Person sich darauf konzentriert.

Abb. 3: Zusammenwirken passiver und aktiver Kontrollsysteme im Gelenk [adaptiert nach 8]

Durch Trauma, degenerative Krankheitsprozesse oder chirurgischen Eingriff kommt es häufig zum Ausfall von Rezeptorgewebe sowie einer direkten Beeinträchtigung der kinästhetischen Wahrnehmung. Ein posttraumatisches sensomotorisches Defizit aufgrund fehlender propriozeptiver Afferenzen gilt als Ursache für eine posttraumatische funktionelle Gelenkinstabilität [9].

Bei Patienten mit Ruptur des vorderen Kreuzbandes fand man am betroffenen Kniegelenk Defizite hinsichtlich der propriozeptiven Fähigkeiten. Unklar blieb allerdings die Kausalität, d. h., bedingte die Verletzung Einschränkungen in der Propriozeption oder bestanden bereits vor der Läsion propriozeptive Defizite, die den Verletzungseintritt förderten. Denkbar ist allerdings auch, dass beide Phänomene koexistent sind [10].

Zusammenwirken von Gelenkstabilität, motorischer Kontrolle und Propriozeption

Die posturale Kontrolle basiert auf der zentralnervalen Verarbeitung von Wahrnehmungen des Vestibularorgans, des visuellen Systems, der Propriozeptoren und der Außenwahrnehmung sowie auf der Antizipation.

Der Körper ist in der Lage, sich sowohl statisch als auch in Bewegung automatisch in aufrechter Position auszubalancieren. Diese sogenannte posturale Kontrolle basiert auf der zentralnervalen Verarbeitung von Wahrnehmungen des Vestibularorgans, des visuellen Systems, der Propriozeptoren und der Außenwahrnehmung sowie auf der mentalen Vorwegnahme zukünftiger Bewegungsabläufe (Antizipation). Für die Kontrolle der Haltung ist die koordinierte Abfolge von Kontraktionen der Halte- und Stützmuskulatur wichtig. Die Abläufe werden von motorischen Hirnstammkernen und dem Kleinhirn gesteuert. Die Muskelkontraktionen stabilisieren nacheinander die distalen und proximalen Gelenke, das Hüftgelenk und schließlich den Körperstamm. Das Zusammenwirken von motorischer Kontrolle, Propriozeption und Stabilität einzelner Gelenke bis zur Koordination mehrerer Gelenke ist ein sehr komplexes dynamisches System, das sich am anschaulichsten durch das folgende neurobiologisches Modell beschreiben lässt (Abb. 4) [11].

Abb. 4: Zusammenwirken von motorischer Kontrolle, Propriozeption und Gelenkstabilität [adaptiert
nach 12, 11]

Funktion und Wirkungsweise von Bandagen und Orthesen

Bandagen spielen im Rahmen präventiver und therapeutischer Interventionen bei einer Vielzahl von Gelenkerkrankungen und -verletzungen eine bedeutende Rolle. Neben ihren mechanisch stabilisierenden Eigenschaften entfalten Bandagen ihre Wirkung vor allem durch die Beeinflussung des sensomotorischen Systems: Sie stimulieren die Propriozeption vor allem über Mechanorezeptoren in der Haut (Abb. 5) [13] und über Rezeptoren periartikulär. Elastische Bandagen beanspruchen die Hautareale rund um das Gelenk bei jeder Bewegung.

Durch Wechselwirkung mit den Mechanorezeptoren in der Subcutis werden die afferenten Funktionen stimuliert, das neuromuskuläre Feedback verbessert und die Gelenkstabilität erhöht. Durch die Kompression der Haut und des subkutanen Bindegewebes werden die Mechanorezeptoren bei Bewegung leichter oder schneller gereizt.

Durch diese Wechselwirkung mit den Mechanorezeptoren in er Subcutis werden die afferenten Funktionen stimuliert, das neuromuskuläre Feedback verbessert und die Gelenkstabilität erhöht. Über die direkte Stimulation der Hautoberfläche hinaus kommt es durch die Kompression der Haut und des subkutanen Bindegewebes zu einer „Vor-Spannung“, d. h., die hier befindlichen Mechanorezeptoren werden nun bei jeder Bewegung leichter oder schneller gereizt. Diesen Effekt bezeichnet man als Mechanotransduktion [14].

Einige Studien belegten, dass Bandagen am Kniegelenk die propriozeptive Wahrnehmung verbessern. Dies konnte sowohl bei gesunden Erwachsenen und Kindern [15, 16] als auch bei Menschen mit Kreuzbandverletzungen [17] gezeigt werden. Stabilisierende Orthesen und Bandagen können pharmakotherapeutische bzw. rehabilitative Maßnahmen bei Patienten mit degenerativen, entzündlichen, posttraumatischen und postoperativen Kniegelenk-Beschwerden wirkungsvoll unterstützen. Bei all den genannten Ursachen haben sie einen bedeutsamen positiven Einfluss auf die Propriozeption und die Symptomatik einschließlich Schmerz [18-22]. Eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten für medizinische Hilfsmittel sind auch am Sprunggelenk beschrieben. So werden sie einerseits im Rahmen konservativer aber auch postoperativer Therapiemaßnahmen nach Distorsionstraumen des oberen Sprunggelenks eingesetzt, andererseits aber auch präventiv zur Reduktion des Verletzungsrisikos bei bestimmten Sportarten [9].

Bei der Auswahl einer Bandage ist auf eine anatomische Passform zu achten, da nur diese den permanenten Kontakt mit der Epidermis und den oberflächlichen Mechanorezeptoren ermöglicht. Gleichzeitig übt sie eine tiefe Kompression aus und steigert so die Mechanotransduktion. Die Kompression durch die Bandage darf allerdings nicht zu stark sein, um den Tragekomfort und damit die Compliance nicht einzuschränken. Bandagen aus gestricktem Material mit Gelenkstabilisatoren werden im Hinblick auf Tragekomfort und Anwendung beim Sport deutlich besser beurteilt als Hartschalenorthesen [16].

Abb. 5: Mechanorezeptoren in der Haut [adaptiert nach Thomson Higher Education 2007 / www.
julius-ecke.de]

Einsatz von Bandagen und Orthesen bei Arthrose / Arthritis

Physiologischerweise nimmt im Alter die propriozeptive Wahrnehmung im Kniegelenk ab. Bei Vorliegen einer Gonarthrose verringert sich die Propriozeption noch weiter. Barrett und Kollegen zeigten, dass diese Defizite durch das Tragen einer elastischen Kniebandage kompensiert werden können [23]. Von besonderer Bedeutung ist die Verbesserung der Koordinationsmechanismen durch die propriozeptive Wirkung der Bandage [24].

Mit einer Kniebandage konnte die Propriozeption deutlich gebessert und eine verbesserte Gelenkwahrnehmung des Kniegelenks festgestellt werden.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Studie bei chronischer Polyarthritis. Sie wies eine signifikant schlechtere Propriozeption in entzündlich veränderten Kniegelenken nach. Mit einer Kniebandage konnte die Propriozeption deutlich gebessert werden. Es wurde eine erheblich verbesserte Gelenkwahrnehmung des Kniegelenks festgestellt [25].

In einer Studie mit 170 Gonarthrose-Patienten trug etwa die Hälfte der Patienten ergänzend zu einer konservativen Therapie über sechs Wochen eine elastische Kniebandage. Die Patienten mit Kniebandage hatten signifikant weniger Schmerzen sowohl am Tag als auch in der Nacht und unter Bewegung als die Kontrollgruppe. Da das Tragen der Bandage von den Patienten aufgrund der einfachen Anwendung zudem sehr gut akzeptiert wurde, empfahlen die Autoren, die Bandage grundsätzlich als ergänzende Therapiemaßnahme zur konservativen Therapie bei Gonarthrose einzusetzen [26]. Dass Bandagen einen wichtigen Beitrag zur Schmerzlinderung und Funktionsverbesserung bei Gonarthrose leisten können, ist auch das Ergebnis eines auf fünf kontrollierten Studien basierenden Cochrane Review (Evidenzgrad Ib) [27].

Einsatz von Bandagen und Orthesen bei akuten Verletzungen sowie in der Rehabilitation

Ein isolierter Riss des vorderen Kreuzbandes erniedrigt die Propriozeption im Kniegelenk. Durch das Tragen einer Kniebandage lässt sich diese schon vor der chirurgischen Intervention wieder verbessern. Die operative Rekonstruktion des Kreuzbandes hat dagegen keinen positiven Einfluss auf die Propriozeption des Kniegelenks [17]. In einer prospektiven randomisierten klinischen Studie wurde der Effekt einer Kniebandage nach vorheriger vorderer Kreuzband-Rekonstruktion untersucht. 60 Patienten wurden randomisiert in zwei Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe erhielt keine Bandage, die andere trug zunächst über zwei Wochen rehabilitative Stützen und danach über 10 Wochen eine Funktionsbandage. Im Ergebnis verbesserten die Bandagen im 3-Monats-Follow-up die Knie-Funktion signifikant positiv [28].

Prävention von Sportverletzungen mit Bandagen

Der präventive Effekt von Bandagen zum Schutz von Sportverletzungen wurde sowohl für das Sprunggelenk als auch das Kniegelenk in einer Reihe von Untersuchungen belegt.

In einer Reihe von Untersuchungen wurde der präventive Effekt von Bandagen zum Schutz von Sportverletzungen für das Kniegelenk belegt.

Am unverletzten Knie verbessert das Tragen einer Bandage die Propriozeption. Der Zugewinn ist umso größer, je geringer die propriozeptiven Fähigkeiten des Knies zuvor waren [15]. Somit kann eine Bandage bei Sportlern möglichen individuellen Schwachstellen entgegenwirken, bevor sie zu einer Verletzung führen. Auch einer Überbelastung des Kniegelenks durch intensives Training kann durch Tragen einer Bandage (hier mit stützendem Patella-Ring) entgegengewirkt werden. Für die Sportler war erfreulich, dass die Bandage den Trainingseffekt nicht einschränkte [29].

Rugby ist eine Sportart mit hohem Risiko für Knieverletzungen. In einer Reihe von Studien wurde ein Verletzungsschutz durch eine prophylaktisch getragene Kniebandage nachgewiesen. Es konnte gezeigt werden, dass diese Schutzwirkung auf einer verbesserten Propriozeption beruht. Die Bandage stimuliert die Haut während der Gelenkbewegung und übt Druck auf die darunterliegende Muskulatur und die Gelenkkapsel aus. Dadurch werden Propriozeptoren wie Merkel-Scheiben und Meissner-Körperchen angeregt [30].

In einer prospektiven Kohorten-Studie an Skifahrern mit vorhergehender Rekonstruktion von Kreuzbandverletzungen konnte ebenfalls der präventive Effekt von stützenden Kniebandagen gezeigt werden. Der Anteil erneut knieverletzter Sportler lag in der Gruppe ohne Bandage signifikant höher (6,4-fach) [31].

Athleten, die bereits eine Verstauchung am Sprunggelenk erlitten haben, können das Risiko einer erneuten Verletzung durch das Tragen einer Stützbandage senken [32]. Ozer und Kollegen untersuchten den Effekt von Bandagen hinsichtlich Balance, Sprungleistung und Gelenkkoordination und fanden eine Verbesserung der Propriozeption. Sie folgerten, dass Bandagen eine wichtige Rolle in der Prävention und Rehabilitation von Sprunggelenksverletzungen spielen [33].

Fazit

Die Propriozeption beschreibt Wahrnehmungen aus dem Körper: die Stellung der Gliedmaßen zueinander (Stellungssinn), die Richtung und Geschwindigkeit von passiven und aktiven Bewegungen der Gelenke (Bewegungssinn) und den Widerstand, gegen den eine Bewegung durchgeführt wird (Kraftsinn). Die für die Propriozeption verantwortlichen Sensoren bezeichnet man als Propriozeptoren. Zu den Propriozeptoren gehören die Muskelspindeln in der Skelettmuskulatur, die Sehnenorgane in den Muskelsehnen und die Gelenkrezeptoren in Gelenkkapseln und Bändern. Zudem sind die Mechanorezeptoren in der Subcutis wichtiger Bestandteil des propriozeptiven Systems. Durch Trauma und degenerative Prozesse in einem Gelenk kann es zur Abnahme der Propriozeption und zur Gelenkinstabilität kommen.

Elastische Bandagen können die Propriozeption in einem Gelenk und seiner Umgebung verbessern. Dadurch fördern sie die Gelenkstabilität und reduzieren den Schmerz. Aus diesem Grund haben elastische Bandagen einen hohen Stellenwert in der Therapie der Gonarthrose und in der Behandlung von Sportverletzungen des Knies und Sprunggelenks. In Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko für das Knie- und Sprunggelenk haben sich elastische Bandagen auch in der Prävention bewährt.
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