Multiple Sklerose: verlaufsmodifizierende Therapie mit Teriflunomid

Zertifiziert in D, A bis 15.01.2025, 3 CME-Punkt(e)

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Die Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems in Deutschland. Symptomatik und Verlauf sind individuell verschieden, i. d. R. führt die MS jedoch mit zunehmender Erkrankungsdauer zu einer starken Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen und ist ein häufiger Behinderungsgrund. Die Therapie der MS erfordert daher einen umfassenden therapeutischen Ansatz. Mittlerweile stehen für die verschiedenen Verlaufsformen und Schweregrade Immuntherapeutika zur Verfügung. Einer der bewährten Wirkstoffe aus der Klasse der Immuntherapeutika ist Teriflunomid, das zur Behandlung der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (RRMS) bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen ab 10 Jahren zugelassen ist.
In der vorliegenden Fortbildung werden grundlegende Kenntnisse zu Teriflunomid vermittelt. Nach einer allgemeinen Einleitung zur Erkrankung wird im weiteren Verlauf der Wirkstoff Teriflunomid behandelt. So wird u. a. auf die Pharmakologie von Teriflunomid eingegangen, mit einem Schwerpunkt auf Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit. Komplementiert wird die Fortbildung durch die Vorstellung der indizierten Patientengruppen einschließlich einer vergleichenden Betrachtung mit anderen verlaufsmodifizierenden Therapeutika.

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Zertifiziert in:D, A
Zeitraum:16.01.2024 - 15.01.2025
Punkte:3 CME-Punkte
VNR:2760602024090880005
Zertifiziert von:Landesärztekammer Hessen
Faxteilnahme:Nein
Autor/innen:Prof. Dr. med. Markus Weih
Sponsor:
Veranstalter:health&media GmbH

Transparenzinformation

Kursinhalt

Einleitung und Zielsetzung

Die Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems in Deutschland. Die autoimmun vermittelte Erkrankung manifestiert sich typischerweise zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr und zeigt eine deutliche Disposition des weiblichen Geschlechts. Symptomatik und Verlauf sind individuell verschieden, i. d. R. führt die MS jedoch mit zunehmender Erkrankungsdauer zu einer starken Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen und ist ein häufiger Behinderungsgrund.1, 2 Die Therapie der MS erfordert daher einen umfassenden therapeutischen Ansatz, der auf den drei Säulen Schubtherapie, verlaufsmodifizierende Therapie und Symptomtherapie beruht.1

In den letzten drei Jahrzehnten wurden neue Immuntherapeutika zugelassen, die die bisherigen Therapiemöglichkeiten grundlegend verändert haben. So stehen mittlerweile für die verschiedenen Verlaufsformen und Schweregrade Medikamente zur Verfügung, die nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung und Patientenpräferenz eingesetzt werden können. Einer der bewährten Wirkstoffe aus der Klasse der Immuntherapeutika ist Teriflunomid, das zur Behandlung der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose (RRMS) bei erwachsenen Patienten sowie Kindern und Jugendlichen ab 10 Jahren zugelassen ist.1, 3

In der vorliegenden Fortbildung werden grundlegende Kenntnisse zu Teriflunomid vermittelt. Nach einer allgemeinen Einleitung zur Erkrankung (Teil 1) wird im weiteren Verlauf der Wirkstoff Teriflunomid behandelt. So wird u. a. auf die Pharmakologie von Teriflunomid eingegangen, mit einem Schwerpunkt auf Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit (Teil 2). Komplementiert wird die Fortbildung in Teil 3 durch die Vorstellung der indizierten Patientengruppen einschließlich einer vergleichenden Betrachtung mit anderen verlaufsmodifizierenden Therapeutika.

Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS) in Deutschland. Die autoimmun vermittelten, inflammatorischen Prozesse führen zu einer Demyelinisierung von Axonen, ZNS-Läsionen und Neurodegeneration. Das immer tiefer gehende Verständnis der zugrundeliegenden Pathogenese hat in den letzten drei Jahrzehnten das Repertoire an Immuntherapeutika zur verlaufsmodifizierenden Therapie deutlich erweitert.1 Neue Wirkstoffkandidaten werden derzeit in klinischen Studien untersucht, beispielsweise Bruton-Tyrosinkinase(BTK)-Inhibitoren.4 Aber auch Aspekte wie die optimale Therapiesequenz verschiedener Therapeutika oder Deeskalationsstrategien sind aktuell Gegenstand der Forschung.5 Die erweiterten Therapieoptionen und die frühzeitigere Diagnosestellung durch veränderte Diagnosekriterien – z. B. beim klinisch isolierten Syndrom (KIS) – haben neben anderen Faktoren wie veränderte Einschlusskriterien oder ein allgemein verbesserter Gesundheitszustand die Prognose der Patienten, im Vergleich zu früheren Behandlungsregimen, wesentlich verbessert.4, 6

Die verlaufsmodifizierende Therapie nimmt dabei – neben der Schubtherapie und der Symptomtherapie – einen besonderen Stellenwert ein. Sie kann durch konsequente Prävention entzündlicher Läsionen das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und damit die Behinderungsprogression hinauszögern oder gänzlich vermeiden.1, 7 Mittlerweile stehen Immuntherapeutika zur Behandlung der verschiedenen MS-Verlaufsformen zur Verfügung. Neben der Unterscheidung von schubförmig remittierender MS (RRMS) und den progredienten Verlaufsformen – primär progrediente MS (PPMS) und sekundär progrediente MS (SPMS) – hat sich als weiteres diagnostisches Kriterium die Erkrankungsaktivität etabliert. Dabei wird zwischen (hoch)aktiver und nicht aktiver Erkrankung unterschieden, gemessen am Auftreten von Schüben und dem Nachweis von ZNS-Läsionen in Magnetresonanztomographie(MRT)-Scans.1

Die derzeit zum Einsatz kommenden Immuntherapeutika werden gemäß der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in drei Wirksamkeitskategorien unterteilt (Tab. 1), abhängig von ihrem Potenzial zur Reduktion der Schubrate.1 Die Häufigkeit von schweren Nebenwirkungen ist bei Wirkstoffen aus der Wirksamkeitskategorie 1 i. d. R. niedriger als bei Wirkstoffen der Wirksamkeitskategorien 2 und 3. Allerdings ist dies nicht gleichzusetzen mit der allgemeinen Verträglichkeit, die bei Therapeutika der Wirksamkeitskategorie 1 schlechter sein kann als bei denen aus Kategorie 2 und 3.1

Bei der zu treffenden Therapieentscheidung ist stets eine individuelle Risiko-Nutzen-Bewertung erforderlich, wobei Faktoren wie Krankheitsaktivität, Verlaufsform, Nebenwirkungsprofil des Wirkstoffs, Komorbiditäten und Patientenpräferenzen (Applikationsform, Therapieintervall, Familienplanung) in die Entscheidungsfindung mit einfließen.1

Tab. 1: Einteilung der Immuntherapeutika1

Nichtmedikamentöse Therapie

Die nichtmedikamentöse Therapie ist, als Teil der Symptomtherapie, ein wichtiger Bestandteil der MS-Therapie. Sie adressiert die vielfältigen MS-Symptome einschließlich der sich manifestierenden motorischen und kognitiven Einschränkungen. Zur nichtmedikamentösen Therapie zählen:1

  • Physiotherapie
  • Ergotherapie
  • Logopädie,
  • Psychotherapie,
  • Verhaltenstherapie,
  • multimodale Rehabilitation,
  • Hilfsmittelversorgung.

Die Ziele der nichtmedikamentösen Interventionen sind es, funktionelle Fähigkeiten, die durch die Symptome eingeschränkt sind, wiederherzustellen, zu verbessern oder eine Verschlechterung zu verlangsamen. Dadurch sollen die Einschränkungen der Patienten in ihrem privaten sowie beruflichen Alltag so gering wie möglich gehalten werden.1
Darüber hinaus sollte auch die Ernährung berücksichtigt werden. Dabei gelten die gleichen allgemeinen Empfehlungen zu einer abwechslungsreichen, pflanzenbetonten und kochsalzarmen Ernährungsweise sowie zum Anstreben von Normalgewicht wie für die Allgemeinbevölkerung. Eine gute Versorgung mit allen Mikronährstoffen über die Ernährung sollte sichergestellt werden – im Falle von nachgewiesenen Nährstoffmängeln sollten diese ausgeglichen werden.1

Teriflunomid

Indikation und Wirkmechanismus

Das selektive Immunsuppressivum Teriflunomid gehört der Wirksamkeitskategorie 1 an (siehe Kapitel 1, Tab. 1) und ist indiziert zur Behandlung erwachsener Patienten sowie von Kindern und Jugendlichen ab 10 Jahren mit RRMS.1, 3 Teriflunomid wurde im Jahr 2013 durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassen.3 Seit September 2023 stehen auch generische Teriflunomid-Präparate zur Verfügung.3

Bei Teriflunomid handelt sich um einen immunmodulatorischen Wirkstoff, der entzündungshemmende Eigenschaften aufweist. Diese resultieren aus einer Hemmung des mitochondrialen Enzyms Dihydroorotat-Dehydrogenase (DHO-DH), das an der Synthese von Pyrimidinnukleotiden beteiligt ist. Durch Hemmung der DHO-DH inhibiert Teriflunomid die Proliferation sich schnell teilender B- und T-Zellen, die von der De-novo-Pyrimidinsynthese abhängig ist. Bisher ist nicht vollständig geklärt, wie der therapeutische Effekt von Teriflunomid bei der MS zustande kommt. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass er durch eine Reduktion aktivierter Lymphozyten vermittelt wird.3 Abbildung 1 zeigt den angenommenen Wirkmechanismus von Teriflunomid. Das Enzym DHO-DH wird in proliferierenden Lymphozyten besonders stark exprimiert, sodass Teriflunomid durch Hemmung der DHO-DH und damit der Pyrimidinsynthese einen zytostatischen Effekt auf proliferierende B- und T-Zellen ausübt. Dadurch wird der Einfluss dieser Zellen auf die entzündlichen Prozesse in der Pathogenese der MS limitiert. Ruhende, inaktive Lymphozyten sind hingegen nicht auf die De-novo-Pyrimidinsynthese angewiesen (Abb. 1).8

Abb. 1: Angenommener Wirkmechanismus von Teriflunomid; modifiziert nach Bar-Or et al.8

Bioverfügbarkeit und Verstoffwechselung

Teriflunomid steht in Form von Filmtabletten zur Verfügung. Nach wiederholter oraler Einnahme wird die maximale Plasmakonzentration nach ca. 1–4 Stunden erreicht. Nahrung hat keine klinisch relevanten Auswirkungen auf die Pharmakokinetik, sodass Teriflunomid unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden kann. Die Bioverfügbarkeit liegt bei nahezu 100 %. Teriflunomid wird mäßig verstoffwechselt und ist der einzige nachgewiesene, therapeutisch wirksame Bestandteil im Plasma. Der primäre Biotransformationsweg ist die Hydrolyse, die Oxidation stellt hingegen einen Biotransformationsweg mit untergeordneter Bedeutung dar.3

Teriflunomid wird im Gastrointestinaltrakt hauptsächlich über die Galle als unveränderter Wirkstoff ausgeschieden. Die Elimination von Teriflunomid aus dem Plasma erfolgt langsam, sodass es durchschnittlich 8 Monate dauert, bis Plasmakonzentrationen unter 0,02 mg/l erreicht werden. Aufgrund individueller Unterschiede bei der Clearance der Substanz kann dies sogar bis zu 2 Jahre in Anspruch nehmen. Plasmakonzentrationen unter 0,02 mg/l müssen im Falle eines Kinderwunsches erreicht werden, da Teriflunomid reproduktionstoxisch wirken kann (siehe Kapitel 2.5). Zur beschleunigten Elimination nach Beenden der Behandlung können Colestyramin und Aktivkohle zum Einsatz kommen.3

Teriflunomid wird einmal täglich oral eingenommen. Die empfohlene Dosis für Erwachsene liegt bei 14 mg. Bei Kindern ist sie abhängig vom Körpergewicht:3

  • Kinder und Jugendliche mit einem Körpergewicht > 40 kg: 14 mg
  • Kinder und Jugendliche mit einem Körpergewicht ≤ 40 kg: 7 mg

Teriflunomid sollte unzerkaut mit etwas Wasser eingenommen werden.3

Wirksamkeit und Sicherheit

Die Wirksamkeit und Sicherheit von Teriflunomid wurden anhand verschiedener randomisierter klinischer Studien im Vergleich zu Placebo und zu anderen MS-Medikamenten (siehe Kapitel 3.1) belegt.

Die Zulassungsstudie TEMSO

An der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-3-Parallelgruppenstudie TEMSO nahmen 1.088 erwachsene Patienten mit schubförmiger MS teil. Diese Patienten waren im Alter zwischen 18 und 55 Jahren, hatten einen EDSS(Expanded Disability Status Scale)-Wert zwischen 0 und 5,5 und mindestens einen Schub im letzten Jahr oder mindestens zwei Schübe in den letzten zwei Jahren erlitten. Ein Ausschlusskriterium war hingegen ein Schub in den 60 Tagen vor der Randomisierung. Die Teilnehmer wurden gleichmäßig auf drei Gruppen verteilt und erhielten für insgesamt 108 Wochen einmal täglich entweder Placebo, 7 mg Teriflunomid oder 14 mg Teriflunomid. Als primärer Endpunkt wurde die jährliche Schubrate festgelegt. Der wichtigste sekundäre Endpunkt bestand in einer Behinderungsprogression für mindestens 12 Wochen.9

Teriflunomid reduzierte die jährliche Schubrate um 31,2 % bei einer Dosis von 7 mg und um 31,5 % bei einer Dosis von 14 mg (Abb. 2). In der höheren Dosierung konnte zudem das Risiko einer Behinderungsprogression im Vergleich zu Placebo signifikant verringert werden (Abb. 2). Auch die mittels MRT nachweisbare Krankheitsaktivität wurde durch Teriflunomid in beiden Dosierungen im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert. Die häufigsten Nebenwirkungen bei den mit Teriflunomid behandelten Patienten waren Diarrhö, Übelkeit, Ausdünnung der Haare oder reduzierte Haardichte und erhöhte Alanin-Aminotransferase(ALT)-Werte. Diese Nebenwirkungen führten nur selten zum Abbruch der Therapie. Zu Todesfällen kam es nicht.9

In der TEMSO-Verlängerungsstudie wurde die Sicherheit und Wirksamkeit von Teriflunomid für bis zu neun Jahre untersucht. An dieser Studie nahmen insgesamt 742 Patienten teil. Die in der TEMSO-Studie bereits mit Teriflunomid behandelten Patienten setzten die Therapie mit der vorherigen Dosierung fort, während die Patienten, die zuvor Placebo erhalten hatten, neu randomisiert wurden (1:1) und entweder 7 mg oder 14 mg Teriflunomid erhielten. In der Verlängerungsstudie traten keine neuen oder unerwarteten Nebenwirkungen auf, sodass sich das Sicherheitsprofil aus der ursprünglichen Studie bestätigte. Die Krankheitsaktivität gemessen an der jährlichen Schubrate und der MRT-Aktivität sank bei den Patienten, die von Placebo auf Teriflunomid wechselten, und blieb niedrig bei den Patienten, die die Therapie mit Teriflunomid fortsetzten.10

Die Zulassungsstudie TOWER

In die internationale randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-3-Studie TOWER wurden 1.169 erwachsene Patienten mit schubförmiger MS eingeschlossen. Die Zuordnung der Gruppen stimmte mit derjenigen der TEMSO-Studie überein (Placebo, 7 mg Teriflunomid, 14 mg Teriflunomid). Auch in die TOWER-Studie wurden Patienten im Alter zwischen 18 und 55 Jahren mit einem EDSS-Wert zwischen 0 und 5,5 und mindestens einem Schub im letzten Jahr oder mindestens zwei Schüben in den letzten zwei Jahren eingeschlossen. In den 30 Tagen zuvor durften sie jedoch keinen Schub erlitten haben. Die Behandlungsdauer variierte und endete 48 Wochen, nachdem der letzte Patient rekrutiert worden war. Auch der primäre Endpunkt (jährliche Schubrate) und der wichtigste sekundäre Endpunkt (Behinderungsprogression für mindestens 12 Wochen) entsprachen den Endpunkten in der TEMSO-Studie.11

Ähnlich wie in der TEMSO-Studie konnten beide Dosierungen von Teriflunomid die jährliche Schubrate im Vergleich zu Placebo signifikant reduzieren, während das Risiko einer Behinderungsprogression nur in der Dosierung von 14 mg Teriflunomid signifikant reduziert war (Abb. 2). Die häufigsten Nebenwirkungen unter Teriflunomid waren eine ALT-Erhöhung, Ausdünnung der Haare und Kopfschmerzen. Die Inzidenz schwerer Nebenwirkungen war in allen drei Gruppen vergleichbar.11

An der TOWER-Verlängerungsstudie nahmen insgesamt 751 Patienten teil. Die maximale Behandlungsdauer mit Teriflunomid lag in dieser Studie bei 6,3 Jahren (Median: 4,25 Jahre). Auch in dieser Studie bestätigten sich die Wirksamkeit und Sicherheit von Teriflunomid und es traten keine neuen oder unerwarteten Nebenwirkungen auf. Insgesamt konnte das positive Nutzen-Risiko-Profil von Teriflunomid als langfristige immunmodulatorische Therapie bekräftigt werden.12

Abb. 2: Jährliche Schubrate und Behinderungsprogression in den Studien TEMSO und TOWER; modifiziert nach O’Connor et al. und Confavreux et al.9, 11

Die TERIKIDS-Studie: Wirksamkeit und Sicherheit von Teriflunomid bei Kindern und Jugendlichen

Zur Untersuchung der Wirksamkeit und Sicherheit von Teriflunomid bei Kindern und Jugendlichen wurde die multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-3-Parallelgruppenstudie TERIKIDS durchgeführt. An dieser Studie nahmen 166 Patienten im Alter von 10 bis 17 Jahren mit schubförmiger MS teil, die im letzten Jahr mindestens einen Schub oder in den letzten zwei Jahren mindestens zwei Schübe erlitten hatten. Ausschlusskriterien waren ein stark fortgeschrittener Behinderungsgrad (EDSS-Wert > 5,5), ein Schub innerhalb von 30 Tagen vor der Randomisierung und ein Körpergewicht unter 20 kg. Die doppelblinde Phase begann mit einer 8-wöchigen Einstiegsphase, in der die Patienten entweder Placebo (n=57) oder eine niedrige Dosis Teriflunomid (n=109; ≤ 40 kg: 3,5 mg Teriflunomid; > 40 kg: 7 mg Teriflunomid) erhielten. Am Ende dieser Einstiegsphase wurde die Teriflunomid-Dosis in Abhängigkeit von Körpergewicht und Pharmakokinetik so angepasst, dass sie der Standarddosierung von 14 mg bei Erwachsenen entsprach. Insgesamt betrug die Behandlungsdauer bis zu 96 Wochen. Patienten mit einem Schub oder einer hohen MRT-Aktivität während der doppelblinden Phase hatten die Möglichkeit, noch während der 96-wöchigen doppelblinden Phase in die anschließende Open-Label-Phase mit Teriflunomid-Behandlung zu wechseln. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zum ersten Schub nach der Randomisierung bis zum Ende der doppelblinden Phase.13

Nach 96 Wochen war die Wahrscheinlichkeit eines Schubes in der Teriflunomid-Gruppe zwar numerisch um 34 % reduziert, der Unterschied war im Vergleich zu Placebo jedoch nicht signifikant (Abb. 3). Dies könnte u. a. darin begründet sein, dass mehr Patienten als erwartet aufgrund hoher MRT-Aktivität in die Teriflunomid-Gruppe (Open-Label-Phase) wechselten. Bei der Auswertung wurden diese Patienten aber entsprechend ihrer ursprünglichen Studiengruppenzuordnung analysiert (Intention-to-treat-Analyse), wodurch der tatsächliche Effekt auf die Schubrate durch Teriflunomid ggf. unterschätzt wurde.13

Abb. 3: Schubrisiko in Woche 96 in der TERIKIDS-Studie; modifiziert nach Chitnis et al.13

Teriflunomid konnte jedoch die Anzahl neuer und vergrößerter Läsionen, die mittels MRT nachweisbar waren, im Vergleich zu Placebo signifikant reduzieren (Abb. 4). Die häufigsten Nebenwirkungen unter Teriflunomid umfassten Infektionen der oberen Atemwege, Alopezie, Parästhesien, Abdominalschmerzen und eine Erhöhung der Kreatin-Phosphokinase-Werte im Blut. Zudem kam es unter Teriflunomid bei zwei Patienten zu einer akuten Pankreatitis und bei zwei Patienten zu einer Erhöhung der Pankreasenzyme.13

Laut Fachinformation gehören zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen von Teriflunomid Kopfschmerzen, Diarrhö, erhöhte ALT-Werte, Übelkeit und Alopezie.3

Abb. 4: Anzahl der mittels MRT nachweisbaren Läsionen in der TERIKIDS-Studie; modifiziert nach Chitnis et al.13

Die TOPIC-Studie: Wirksamkeit und Sicherheit bei Patienten mit einem KIS

An der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-3-Parallelgruppenstudie TOPIC nahmen 618 Patienten im Alter von 18 bis 55 Jahren mit einem klinisch isolierten Syndrom (KIS) teil. Diese Patienten erhielten für bis zu 108 Wochen entweder 14 mg Teriflunomid, 7 mg Teriflunomid oder Placebo. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zu einem Schub, der gemäß Definition den Übergang zu einer klinisch gesicherten MS darstellte. Der wichtigste sekundäre Endpunkt waren die Zeit bis zum Schub oder neue, mittels MRT nachweisbare Läsionen, je nachdem, welches dieser Ereignisse zuerst auftrat.14

Teriflunomid reduzierte in beiden Dosierungen im Vergleich zu Placebo sowohl das Risiko eines Schubes (primärer Endpunkt) als auch das Risiko eines Schubes oder neuer, mittels MRT nachweisbarer Läsionen signifikant (sekundärer Endpunkt; Tab. 2). Die häufigsten Nebenwirkungen waren erhöhte ALT-Werte, Ausdünnung der Haare, Diarrhö, Parästhesien und Infektionen der oberen Atemwege. Die häufigste schwere Nebenwirkung war ein Anstieg der ALT-Werte. Anhand dieser Studie konnten die Vorteile einer oralen verlaufsmodifizierenden Therapie bei Patienten in einem frühen Stadium der Multiplen Sklerose gezeigt werden.14

Tab. 2: Ausgewählte klinische Daten aus der TOPIC-Studie; modifiziert nach Miller et al.14

Wechselwirkungen

Bei der Betrachtung der Wechselwirkungen von Teriflunomid ist zu unterscheiden, ob es sich um Wirkungen anderer Wirkstoffe handelt, die sich auf die Behandlung mit Teriflunomid auswirken, oder ob der umgekehrte Fall vorliegt.

Wechselwirkungen anderer Wirkstoffe mit Teriflunomid
Die Wirkung von Teriflunomid kann durch folgende Wirkstoffe beeinträchtigt werden:3

  • Starke Cytochrom-P450- und Transporter-Induktoren: z. B. Rifampicin, Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin und Johanniskraut
    • Die gleichzeitige Anwendung wiederholter Dosen von Rifampicin mit Teriflunomid verringerte die Teriflunomid-Exposition um 40 %.
    • Anwendung mit Vorsicht
  • Colestyramin oder Aktivkohle
    • Schnelle Senkung der Plasmaspiegel von Teriflunomid
    • Anwendung nur, wenn eine beschleunigte Elimination von Teriflunomid gewünscht ist

Wechselwirkungen von Teriflunomid mit anderen Wirkstoffen
Teriflunomid kann die Wirkung folgender Wirkstoffe beeinträchtigen:3

  • Wirkstoffe, die durch CYP2C8 verstoffwechselt werden: z. B. Repaglinid, Paclitaxel, Pioglitazon und Rosiglitazon
    • Teriflunomid scheint CYP2C8 zu hemmen.
    • Anwendung mit Vorsicht
  • Orale Kontrazeptiva: 0,03 mg Ethinylestradiol und 0,15 mg Levonorgestrel
    • Erhöhung der höchsten Plasmakonzentration (Cmax) und der AUC0–24 (area under the curve) durch Teriflunomid
    • Dadurch eher keine Wirkungsbeeinträchtigung zu erwarten, aber es sollte bei der Auswahl oraler Kontrazeptiva berücksichtigt werden.
  • Wirkstoffe, die durch CYP1A2 verstoffwechselt werden: z. B. Duloxetin, Theophyllin und Tizanidin
    • Teriflunomid scheint ein schwacher Induktor von CYP1A2 zu sein.
    • Anwendung mit Vorsicht, da Teriflunomid die Wirksamkeit dieser Wirkstoffe reduzieren könnte
  • Substrate des organischen Anionen-Transporters 3 (OAT3): z. B. Cefaclor, Benzylpenicillin, Ciprofloxacin, Indometacin, Ketoprofen, Furosemid, Cimetidin, Methotrexat und Zidovudin
    • Teriflunomid scheint OAT3 zu hemmen.
    • Anwendung mit Vorsicht
  • Substrate von BCRP und/oder des organischen Anionen-Transporter-Polypeptids B1 und B3 (OATP1B1/B3): z. B. Methotrexat, Topotecan, Sulfasalazin, Daunorubicin, Doxorubicin und HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (z. B. Simvastatin, Atorvastatin, Pravastatin, Methotrexat, Nateglinid, Repaglinid, Rifampicin)
    • Anwendung mit Vorsicht: engmaschige Überwachung im Hinblick auf Zeichen und Symptome einer übermäßigen Exposition gegenüber diesen Arzneimitteln; ggf. Dosisreduktion
    • Rosuvastatin: Dosisreduktion um 50 % bei gleichzeitiger Anwendung mit Teriflunomid
  • Warfarin
    • Bei gleichzeitiger Anwendung mit Teriflunomid Absenkung der INR (International Normalized Ratio) um 25 % im Vergleich zu Warfarin allein
    • Engmaschige Nachbeobachtung und Überwachung der INR bei gleichzeitiger Anwendung
INR: Die International Normalized Ratio ist ein Maß für die Blutgerinnung. Sie wird berechnet, indem der Quotient aus der Thromboplastinzeit des Patientenplasmas und der Thromboplastinzeit des Normalplasmas gebildet wird. Das Ergebnis wird mit dem ISI (International Sensitivity Index) multipliziert, der von der unterschiedlichen Sensitivität des Thromboplastinreagens abhängt und von den Herstellern für jede Charge mitgeliefert wird.15

Besonderheiten bei der Therapie mit Teriflunomid

Da Teriflunomid embryotoxisch und teratogen wirkt und in die Muttermilch übergehen kann, ist es für schwangere und stillende Frauen kontraindiziert. Eine Schwangerschaft muss vor Beginn der Therapie ausgeschlossen werden. Zudem muss während der Therapie und so lange, wie die Plasmaspiegel über 0,02 mg/l liegen, eine zuverlässige Verhütungsmethode angewendet werden. Dabei ist die sehr langsame Elimination aus dem Plasma nach Absetzen der Therapie zu berücksichtigen. Mädchen und/oder ihre Eltern bzw. Betreuungspersonen müssen über die Notwendigkeit informiert werden, den behandelnden Arzt zu kontaktieren, sobald die Menstruation einsetzt. Zudem müssen alle Patientinnen angewiesen werden, beim Verdacht auf eine Schwangerschaft Teriflunomid unverzüglich abzusetzen und ihren Arzt zu kontaktieren. Sollte sich die Schwangerschaft bestätigen, kann ein Verfahren zur beschleunigten Elimination beim ersten Ausbleiben der Menstruation das Risiko für den Fetus möglicherweise senken. Bei der Behandlung von Männern mit Teriflunomid wird das Risiko einer über den Mann vermittelten embryofetalen Toxizität als niedrig eingestuft.3

Darüber hinaus darf Teriflunomid nicht angewendet werden bei Patienten:3

  • mit schwerer Beeinträchtigung der Leberfunktion (Child-Pugh-Stadium C),
  • mit schwer beeinträchtigtem Immunstatus,
  • mit signifikant beeinträchtigter Knochenmarkfunktion oder signifikanter Anämie, Leukopenie, Neutropenie oder Thrombozytopenie,
  • mit schwerer aktiver Infektion, bis diese sich zurückgebildet hat,
  • mit schweren Nierenfunktionsstörungen, die Dialysen erfordern, sowie
  • mit schwerer Hypoproteinämie.

Überwachung vor und während der Therapie

Da Teriflunomid den Blutdruck erhöhen kann, sollte dieser vor Beginn der Therapie sowie in regelmäßigen Abständen während der Behandlung kontrolliert werden.3

Unter der Therapie mit Teriflunomid wurden eine Erhöhung der Leberwerte sowie Fälle eines arzneimittelbedingten Leberschadens beobachtet. Aus diesem Grund sollten die Leberenzyme vor Beginn der Therapie sowie während der ersten 6 Monate nach Beginn der Therapie mindestens alle 4 Wochen und danach regelmäßig überprüft werden. Eine zusätzliche Überwachung ist zu erwägen, wenn Teriflunomid bei Patienten mit vorbestehender Lebererkrankung oder zusammen mit anderen potenziell hepatotoxischen Arzneimitteln angewendet wird, oder bei klinischen Anzeichen und Symptomen, wie z. B. ungeklärter Übelkeit, Erbrechen, Abdominalschmerz, Müdigkeit, vermindertem Appetit oder Ikterus und/oder dunklem Urin. In diesen Fällen sollten die Leberenzyme während der ersten 6 Monate der Behandlung alle 2 Wochen und danach mindestens alle 8 Wochen für mindestens 2 Jahre ab Behandlungsbeginn überprüft werden.3

Eine mittlere Abnahme der Leukozyten von weniger als 15 % ist bei der Therapie mit Teriflunomid beobachtet worden. Als Vorsichtsmaßnahme sollte ein großes Blutbild, einschließlich Differenzialblutbild der Leukozyten und Thrombozyten, vor Beginn der Behandlung verfügbar sein und dieses bei Anzeichen und Symptomen (z. B. Infektionen) während der Therapie kontrolliert werden.3

Darüber hinaus wurden unter der Behandlung mit Teriflunomid Fälle von interstitiellen Lungenerkrankungen (ILD), pulmonaler Hypertonie, Panzytopenie, peripherer Neuropathie, schwerwiegenden Hautreaktionen sowie bei pädiatrischen Patienten Pankreatitis beobachtet. Diese können eine Beendigung der Therapie und ggf. Maßnahmen zur beschleunigten Elimination mit Colestyramin oder Aktivkohle erfordern.3

Therapieumstellung zu oder von Teriflunomid

Folgendes ist bei der Therapieumstellung zu oder von Teriflunomid bzw. bei einer gleichzeitigen Anwendung zu beachten:3

  • Interferon beta und Glatirameracetat: In Sicherheitsstudien, in denen Teriflunomid bis zu einem Jahr zusammen mit Interferon beta oder Glatirameracetat eingesetzt wurde, gab es keine Hinweise auf Sicherheitsbedenken. Die Langzeitsicherheit dieser Kombinationen ist jedoch nicht bekannt. Beim Wechsel von Interferon beta oder Glatirameracetat auf Teriflunomid oder umgekehrt muss keine Wartezeit eingehalten werden.
  • Natalizumab: Bei einer Umstellung von Natalizumab auf Teriflunomid ist aufgrund der langen Halbwertszeit von Natalizumab Vorsicht geboten. Wird die Behandlung mit Teriflunomid sofort nach Beendigung der Therapie mit Natalizumab begonnen, kann es für bis zu 2–3 Monate zu einer gleichzeitigen Exposition und Immunwirkung beider Wirkstoffe kommen.
  • Fingolimod: Beim Wechsel von Fingolimod auf Teriflunomid sollte aufgrund der langen Halbwertszeit von Fingolimod ein therapiefreier Zeitraum von 6 Wochen zur Clearance aus dem Blutkreislauf und von 1–2 Monaten zur Normalisierung der Lymphozytenzahl eingehalten werden.

Bei der Umstellung von Teriflunomid auf einen anderen Wirkstoff ist zudem die lange Halbwertszeit von Teriflunomid zu berücksichtigen. Diese liegt bei wiederholten Dosen von 14 mg bei ca. 19 Tagen. Der Beginn anderer Therapien innerhalb von 5 Halbwertszeiten (ca. 3,5 Monate, bei einigen Patienten auch länger) nach Beendigung der Teriflunomid-Therapie führt zur gleichzeitigen Exposition gegenüber Teriflunomid, sodass aufgrund der additiven Wirkung auf das Immunsystem Vorsicht geboten ist.3

Risikomanagementplan als Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit

Im Rahmen des Risikomanagementplans (RMP) stehen für Teriflunomid-haltige Medikamente besondere Schulungsmaterialien für Patienten und Ärzte zur Verfügung.16 Das Schulungsmaterial für Ärzte beinhaltet eine Checkliste zur Verringerung von Arzneimittel- und Anwendungsrisiken. Dazu werden u. a. Hinweise zu empfohlenen Kontrolluntersuchungen, wie einem großen Blutbild oder einer Messung des Blutdrucks, sowie der Teratogenität von Teriflunomid gegeben. Zudem enthält das Schulungsmaterial einen Hinweis zur Patientenkarte, die dem Patienten bzw. den Betreuungspersonen auszuhändigen ist und deren Inhalt regelmäßig (mindestens einmal jährlich) mit dem Patienten besprochen werden sollte.16

Die Patientenkarte enthält wichtige Sicherheitsinformationen, die bei der Behandlung mit Teriflunomid beachtet werden müssen. Dort werden beispielsweise Symptome aufgelistet, die auf eine Beeinträchtigung der Leberfunktion oder auf Infektionen hindeuten, welche in Folge der Behandlung mit Teriflunomid auftreten können. Ebenso wird auf das teratogene Potenzial des Wirkstoffs sowie auf entsprechende Vorsichtsmaßnahmen hingewiesen. Die Patientenkarte soll mit den Kontaktdaten des Patienten und des behandelnden Arztes ausgefüllt werden und bei medizinischen Behandlungen, z. B. im Falle eines Notfalls, vorgezeigt werden.16

Einflussfaktoren auf die Therapieentscheidung

Die Wahl einer verlaufsmodifizierenden Therapie muss stets individuell auf die Erkrankung des Patienten sowie dessen Präferenzen abgestimmt werden. Sowohl klinische Parameter (Verlaufsform, Krankheitsaktivität, Prognose, Komorbiditäten) als auch patientenindividuelle Faktoren (bevorzugte Applikationsform, Therapieintervall, Familienplanung) fließen dabei in die Entscheidungsfindung mit ein. Abschließend sollte eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung durchgeführt werden.1

Als Immuntherapeutikum der Wirksamkeitskategorie 1 (siehe Kapitel 1, Tab. 1) ist Teriflunomid zur Behandlung der RRMS bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen ab 10 Jahren zugelassen.3 Generell werden Immuntherapeutika der Wirksamkeitskategorie 1 eingesetzt, wenn wahrscheinlich kein hochaktiver Verlauf vorliegt. Kontraindiziert ist die Anwendung von Teriflunomid bei Schwangeren oder Stillenden – bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte eine sichere Verhütungsmethode angewendet werden – sowie u. a. bei Personen mit schwerer Beeinträchtigung der Leberfunktion (vollständige Auflistung siehe Kapitel 2.5).3

Entsprechend der Leitlinienempfehlung soll sich bei Immuntherapeutika der Wirksamkeitskategorie 1 die Wahl vorrangig nach den Nebenwirkungen des Wirkstoffs und den Präferenzen/Komorbiditäten des Behandelten richten.1 Da Teriflunomid oral eingenommen wird, kann es im Vergleich zu einigen anderen verlaufsmodifizierenden Immuntherapeutika, die über Spritzen appliziert werden, die Therapiezufriedenheit erhöhen.17, 18 Zudem bedarf es bei Teriflunomid keiner speziellen Lagerung (Kühlung), sodass MS-Patienten das Medikament problemlos auf Reisen mit sich führen können.1 Es existieren kaum Einschränkungen hinsichtlich geplanter Impfungen unter Teriflunomid-Therapie – lediglich Impfungen mit Lebendimpfstoffen sollten vermieden werden.3

In den nächsten Unterkapiteln wird Teriflunomid hinsichtlich Wirksamkeit, Sicherheit und Therapiezufriedenheit im Vergleich zu anderen verlaufsmodifizierenden Wirkstoffen der Wirksamkeitskategorie 1 – Interferon beta-1a und Glatirameracetat – betrachtet.

Teriflunomid vs. Interferon beta-1a

In der randomisierten, einfach verblindeten Phase-3-Studie TENERE wurde Teriflunomid mit Interferon beta-1a (IFN-β-1a) hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit bei 324 Patienten mit RRMS verglichen. Die Patienten wurden gleichmäßig auf drei Gruppen verteilt und erhielten entweder oral 7 mg Teriflunomid oder 14 mg Teriflunomid bzw. subkutan 44 μg IFN-β-1a. Der primäre Endpunkt war die Zeit bis zum Therapieversagen mit dem Nachweis eines Schubereignisses. Die Behandlungsdauer variierte und endete 48 Wochen, nachdem der letzte Patient rekrutiert worden war – die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 64 Wochen. Zwischen der höheren Teriflunomid-Dosierung (14 mg) und IFN-β-1a bestand kein Unterschied hinsichtlich der adjustierten jährlichen Schubrate: Diese lag in der 14-mg-Teriflunomid-Gruppe bei 0,26 und bei IFN-β-1a bei 0,22 (Abb. 5). Auch das Therapieversagen – definiert als das Auftreten eines Schubs bzw. einer Medikationsunterbrechung – unterschied sich in den beiden Behandlungsgruppen in Woche 48 nicht signifikant (Abb. 5). In der 7-mg-Teriflunomid-Gruppe lag die adjustierte jährliche Schubrate (0,41) höher als in den anderen beiden Gruppen – das Therapieversagen war in Woche 48 (36 %) allerdings vergleichbar.17

Abb. 5: Adjustierte jährliche Schubrate und Therapieversagen in Woche 48 in der Studie TENERE; modifiziert nach Vermersch et al.17

Die allgemeine Zufriedenheit mit der Behandlung – ermittelt anhand des Treatment-Satisfaction-Questionnaire-for-Medication(TSQM)-Scores – war in Woche 48 mit 14 mg Teriflunomid (68,82 %) signifikant höher als mit IFN-β-1a (60,98 %), was auf die berichteten Nebenwirkungen und den Komfort der oralen Einnahme zurückzuführen ist (Abb. 6).17

Die Häufigkeit von Nebenwirkungen war in der 14-mg-Teriflunomid-Gruppe und in der Gruppe mit IFN-β-1a vergleichbar. Nebenwirkungen, die häufiger in der Teriflunomid-Gruppe auftraten, waren Diarrhö, Nasopharyngitis, Ausdünnung der Haare, Parästhesie und Rückenschmerzen. In der IFN-β-1a-Gruppe wurden Kopfschmerzen, ein Anstieg der ALT und grippeartige Symptome häufiger registriert. Die Häufigkeit von schwerwiegenden Nebenwirkungen war in beiden Gruppen vergleichbar. Mit der Ausnahme von drei Fällen von erhöhter ALT in der Gruppe mit 7 mg Teriflunomid wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen öfter als einmal berichtet. Es kam es zu keinen Todesfällen. Erhöhte ALT-Werte waren der häufigste Grund für Therapieabbrüche und wurden häufiger in der IFN-β-1a-Gruppe berichtet.17

Abb. 6: Behandlungszufriedenheit in der Studie TENERE; modifiziert nach Vermersch et al.17

3.2 Teriflunomid vs. Glatirameracetat

Es existiert keine direkte klinische Vergleichsstudie, in der Teriflunomid und Glatirameracetat hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit untersucht wurden. Aus diesem Grund können nur die jeweiligen Zulassungsstudien miteinander verglichen werden. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass diese nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeit erlauben, da sich die Studien beispielsweise hinsichtlich des Studiendesigns und der untersuchten Stichprobe (Patientenpopulation) unterscheiden können. Beispielsweise unterscheidet sich in der Zulassungsstudie von Teriflunomid (TEMSO) und einer Studie zu Glatirameracetat (Fox et al. 2012) neben dem Anteil der mit einer verlaufsmodifizierenden Therapie vorbehandelten Patienten im Placeboarm (24,8 % vs. 31 %) auch das Durchschnittsalter der Patienten (38,4 Jahre vs. 36,9 Jahre).9, 19

Der Vergleich der Zulassungsstudien von Teriflunomid TEMSO und TOWER (siehe Kapitel 2.3) mit Studien zu Glatirameracetat (Johnson et al. 1995 sowie CONFIRM, Fox et al. 2012) zeigt, dass sich die beiden Wirkstoffe hinsichtlich der Wirksamkeit – bemessen in der Reduktion der jährlichen Schubrate – im Vergleich zu Placebo nicht voneinander unterscheiden: Oral 14 mg Teriflunomid reduzierte die jährliche Schubrate um 31,5–36,3 % und subkutan 20 mg Glatirameracetat um 29 %.9, 11, 19, 20 Dabei ist anzumerken, dass die Schubrate in der TOWER-Studie bereits nach 48 Wochen und nicht wie in den anderen drei Studien nach 2 Jahren festgestellt wurde.8 Die vergleichbare Wirksamkeit der beiden Wirkstoffe bestätigt auch eine Netzwerk-Metaanalyse: Sie fand keinen signifikanten Unterschied zwischen der Wirksamkeit von Teriflunomid und Glatirameracetat auf die Reduktion der Schubrate.21 Entsprechend werden beide Wirkstoffe der Wirksamkeitskategorie 1 zugeordnet (siehe Kapitel 1, Tab. 1). Beide Wirkstoffe führten zudem zu einer signifikanten Reduktion der mittels MRT nachweisbaren Läsionen.9, 19

Hinsichtlich der Sicherheit weisen beide Wirkstoffe ein spezifisches Nebenwirkungsprofil auf. Die häufigsten Nebenwirkungen unter Teriflunomid waren Diarrhö, Übelkeit, Ausdünnung der Haare oder reduzierte Haardichte und erhöhte ALT-Werte.9 Die häufigsten Nebenwirkungen unter Glatirameracetat waren Schmerzen sowie Erytheme an der Injektionsstelle.19

Fazit

Verlaufsmodifizierende Therapeutika haben in den letzten Jahrzehnten die Behandlung der MS – und damit auch die Prognose vieler Patienten – entscheidend verbessert. Mittlerweile existieren zahlreiche Medikamente, aus denen – nach einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung und Berücksichtigung von Patientenpräferenzen – ein passender Wirkstoff ausgewählt werden kann.

Der 2013 zugelassene Wirkstoff Teriflunomid hat sich zur verlaufsmodifizierenden Therapie der RRMS sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen etabliert.1 Seit September 2023 steht Teriflunomid auch als Generikum von verschiedenen Anbietern zur Verfügung.3 Die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit des Wirkstoffs wurde in klinischen Studien belegt und beruht auf der Inhibition sich schnell teilender Zellen einschließlich mutmaßlich aktivierter Lymphozyten.3, 9–14 Auf Grundlage der Studiendaten wird Teriflunomid der Wirksamkeitskategorie 1 zugerechnet.1

Vorteilhaft ist die einfache, einmal tägliche orale Einnahme, ebenso wie das bekannte und gemäßigte Nebenwirkungsprofil, wodurch die Therapiezufriedenheit unter Teriflunomid höher ausfällt als bei einigen anderen MS-Therapeutika.3, 17, 18 Der Wirkstoff bedarf keiner speziellen Lagerung (Kühlung) und eignet sich daher gut für die Reiseapotheke von MS-Patienten.3 Zudem existieren kaum Einschränkungen hinsichtlich geplanter Impfungen unter Teriflunomid-Therapie – lediglich Impfungen mit Lebendimpfstoffen sollten vermieden werden.3 Beachtet werden müssen das teratogene Potenzial und entsprechende Kontraindikationen bei Schwangeren und Stillenden, ebenso wie die regelmäßige Überwachung der Leberwerte, des Blutdrucks und das Auftreten von Infektionen.3 Zudem stehen Schulungsmaterialien für Ärzte und Patienten im Rahmen des RMP zur Verfügung.16

Referenzen

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  2. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e.V. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/ms-erforschen/grafiken-des-quartals/monats/berichte-zu-grafikendes-quartals/monats/edss-und-berentung (abgerufen am 10.08.2023)
  3. https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Teriflunomid_52136 (abgerufen am 15.12.2023)
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  5. Faissner S, Gold R. Stufentherapie der multiplen Sklerose. Medizinische Monatszeitschrift für Pharmazeuten 2023; 46(7): 230–237
  6. Sorensen PS, Sellebjerg F, Hartung HP, Montalban X, Comi G, Tintoré M. The apparently milder course of multiple sclerosis: changes in the diagnostic criteria, therapy and natural history. Brain 2020 Sep 1; 143(9): 2637–2652
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  10. O’Connor P et al. Long-term safety and efficacy of teriflunomide: Nine-year follow-up of the randomized TEMSO study. Neurology 2016; 86(10): 920–930
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  17. Vermersch P et al. Teriflunomide versus subcutaneous interferon beta-1a in patients with relapsing multiple sclerosis: a randomised, controlled phase 3 trial. Mult Scler 2014; 20(6): 705–716
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  20. Johnson KP et al. Copolymer 1 reduces relapse rate and improves disability in relapsing-remitting multiple sclerosis: results of a phase III multicenter, double-blind placebocontrolled trial. Neurology 1995; 45(7): 1268–1276
  21. Li H et al. Comparative efficacy and acceptability of disease-modifying therapies in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis: a systematic review and network meta-analysis. J Neurol 2020; 267(12): 3489–3498

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