Sprachbarrieren in der medizinischen Praxis

Zertifiziert in D, A bis 29.10.2025, 3 CME-Punkt(e)

Interessengebiete:

Sprachliche Barrieren stellen im heutigen Gesundheitswesen eine allgegenwärtige Herausforderung dar, die die Kommunikation zwischen medizinischem Fachpersonal und Patienten maßgeblich beeinflusst. Sprachbarrieren manifestieren sich jedoch nicht nur in der Differenzierung zwischen verschiedenen Sprachen, sondern auch innerhalb einer Sprache. Eine in Deutschland durchgeführte Studie hat ergeben, dass ein signifikanter Anteil der Bevölkerung über unzureichende Lese- und Schreibfähigkeiten verfügt, was sich nachteilig auf die Gesundheitskompetenz auswirkt.
In dieser Fortbildung werden verschiedene Konzepte zur Überwindung von Sprachbarrieren und deren Fehleranfälligkeit im medizinischen Kontext kritisch betrachtet und mögliche Lösungsansätze aufgezeigt, die rechtliche und kommunikative Risiken minimieren können.

Tutorielle Unterstützung

Die tutorielle Unterstützung der Fortbildungsteilnehmer erfolgt durch unseren ärztlichen Leiter Dr. med. Alexander Voigt in Zusammenarbeit mit der arztCME-Redaktion. Inhaltliche Fragen können über das Kommentarfeld, direkt per Mail an service@arztcme.de oder via Telefon unter Tel.: +49(0)180-3000759 gestellt werden. Inhaltliche Fragen werden von unserem ärztlichen Leiter bzw. nach Rücksprache mit diesem und evtl. dem Autor auch von der arztCME-Redaktion beantwortet.

Technischer Support

Der technische Support der arztCME-Online-Akademie erfolgt durch geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Betreibers health&media GmbH unter der E-Mail-Adresse technik@arztcme.de oder via Telefon unter Tel.: 49(0)180-3000759.

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Zertifiziert in:D, A
Zeitraum:30.10.2024 - 29.10.2025
Punkte:3 CME-Punkte
VNR:2760602024319240007
Zertifiziert von:Landesärztekammer Hessen
Faxteilnahme: Nein
Autor/innen: Armin Mutscheller
Sponsor:
Veranstalter: health&media GmbH

Transparenzinformation

Kursinhalt

Einleitung

In der medizinischen Praxis stellen Kommunikationshürden zwischen Ärzten und Patienten ein zunehmendes Problem dar. Sprachbarrieren entstehen einerseits infolge von Flucht- und Migrationsbewegungen nach Deutschland, sind aber auch bei der Kommunikation mit gering literalisierten Menschen deutscher Herkunftssprache keine Seltenheit. Zudem korrelieren sprachliche Defizite häufig mit großen Lücken in der Gesundheitskompetenz. Neben den Herausforderungen, die dadurch für die Organisation des Medizinbetriebs entstehen, können Kommunikationsprobleme auch unter dem Aspekt der Haftung bedeutsam sein, denn Missverständnisse bei der Aufklärung, Befundbesprechung und Therapieplanung können zu kostspieligen Fehlern führen. Dieser Beitrag beschreibt die Problematik aus der Sicht eines medizinischen Fachübersetzers und gibt Empfehlungen für eine funktionierende und risikoarme Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

Sprachbarrieren innerhalb der Landessprache

Alphabetisierung und Literalität in Deutschland

Die ARD Tagesschau sendet ihre Beiträge seit dem Sommer 2024 auch in „Einfacher Sprache“ [1]. Einfache Sprache ist eine vereinfachte Version der Standardsprache, mit kürzeren Sätzen, einfacherer Satzstruktur und weniger Kommas. Von ihr ist die sogenannte „Leichte Sprache“ abzugrenzen, die noch radikaler in das Regelwerk der Standardsprache eingreift, um maximale Verständlichkeit zu erzielen. Begründet hat die ARD diesen Schritt unter anderem mit den Ergebnissen der Studie „Leben mit geringer Literalität“.

12,1 % der erwachsenen Menschen in Deutschland gelten als „gering literalisiert“.

Demnach gelten 12,1 % der erwachsenen Menschen in Deutschland als „gering literalisiert“, d. h. sie sind bestenfalls in der Lage, einzelne Sätze zu lesen oder zu schreiben und können Bedeutungszusammenhänge auch kürzerer Texte nicht zuverlässig erfassen. Dies entspricht in etwa dem Niveau von Viertklässlern. Die für das Phänomen früher gebräuchliche Bezeichnung „funktionaler Analphabetismus“ gilt als abwertend und ist heute obsolet [2]. Die Studie differenziert zwischen Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund, Einwanderungsgeschichte, erworbener oder angeborener Behinderung, chronischen Krankheiten, wie etwa Demenz, Ausbildungsniveaus und weiteren Merkmalen. Eine Feststellung ist besonders besorgniserregend, dürfte jedoch im medizinischen Alltag kaum jemanden überraschen: Geringe Literalität korreliert mit großen Lücken in der Gesundheitskompetenz [3]. Für viele der Betroffenen ist daher das Lesen und Verstehen etwa von Beipackzetteln oder gesundheitsbezogenen Formularen ohne Unterstützung kaum oder gar nicht möglich. Dies wäre jedoch für eine hohe Versorgungsqualität und rechtssichere Aufklärung unabdingbar.

Abb. 1: Ein erheblicher Anteil der Menschen mit Einwanderungsgeschichte spricht zu Hause kein
Deutsch.
Quelle: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/02/PD24_N008_12.html

Die intralinguale Sprachbarriere überwinden

Empfehlung: Zielgruppengerecht formulieren

Das Vorliegen einer wie auch immer gearteten Sprachbarriere erinnert an eine wichtige gesetzliche Verpflichtung: Dass nämlich die Verantwortung dafür, dass die Kommunikation
zwischen Arzt und Patient funktioniert und dieser die Aufklärung zu seiner Erkrankung und Therapie verstanden und eine rechtssichere Einwilligung gegeben hat, beim
Arzt liegt. § 630e Abs. 2 BGB sagt hierzu:
„Die Aufklärung muss …

1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,

2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,

3. für den Patienten verständlich sein.“

Ärzte, Kliniken und andere Dienstleister im Gesundheitswesen sind also verpflichtet, alles Zumutbare zu unternehmen, um mit Patienten in einer verständlichen Sprache zu kommunizieren. Und für die Verständlichkeit einer sprachlichen Äußerung macht es einen großen Unterschied, ob Sachverhalte auf umgangssprachlicher, allgemeinsprachlicher oder fachsprachlicher Ebene beschrieben werden. Medizin und Medizintechnik sind außerordentlich stark durch fachsprachliche Nomenklaturen und Formulierungskonventionen (z. B. Anglizismen und Latinismen) geprägt, und dies kann die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten erschweren. Selbst unter Medizinern kann es zu Kommunikationsproblemen kommen, denn auch die medizinische Fachsprache ist nicht homogen und kennt unterschiedliche Ebenen der Fachlichkeit. In der Linguistik spricht man hier von „Sprachregistern“ oder „Varietäten“. Ein Sprachregister kann unter anderem durch die Intention der Äußerung, durch Regionalität oder durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gekennzeichnet sein. Bei der Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten braucht es also ein gewisses Gespür für das jeweils
adäquate Sprachregister. Die Tabelle 1 enthält einige Beispiele.

Tab. 1: Beispiele für Sprachregister
1 Zuzüglich weiterer Klassifizierungen nach ICD-10; 2 In Teilen Bayerns; 3 In Teilen Schwabens, wobei hier zugleich eine Kolexifizierung vorliegt; 4 In Teilen Frieslands; 5 In Teilen Südbadens; 6 In Teilen Norddeutschlands

Mit der sozialen, regionalen und fachsprachlichen Einbettung einer Äußerung können also Verständnisbarrieren einhergehen. Auch Kolexifizierungen, d. h., das Zusammenfassen von miteinander unmittelbar verbundenen anatomischen Strukturen in und derselben Benennung, können intra- und interlingual zu Missverständnissen führen. Daraus ergibt sich für die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten die Notwendigkeit, das in der jeweiligen Situation adäquate Sprachregister zu wählen. Dies gilt vor allem für die mündliche Kommunikation, aber auch für schriftliche Mitteilungen, die direkt an den Patienten gerichtet werden. Angesichts der Zahlen zur Literalität in Deutschland werden viele Adressaten von einer allgemeinsprachlichen Nomenklatur profitieren. Es spricht auch nichts dagegen, mit dem Patienten in seinem Dialekt zu sprechen, sofern er diesen mit dem Arzt teilt. Es gilt also, die kommunikative Kompetenz des Patienten sensibel zu bestimmen und die Kommunikation entsprechend zu modulieren, auch um die für den Heilungsprozess notwendige Vertrauensbasis zu schaffen.

Empfehlung: Komplexität vermeiden

Menschen mit geringer Literalität, kognitiven Einschränkungen oder mangelnder Erfahrung mit der Verarbeitung medizinischer Fachsprache profitieren von einer verständlichen Sprache, die auf unnötige Komplexität verzichtet. Dies kann durch eine Kommunikation in der gewohnten Alltagssprache geschehen, die weitgehend auf medizinisches Fachvokabular und unnötig komplexe oder ausschweifende Satzkonstruktionen verzichtet.

Ein Weg, um vor allem die schriftliche Kommunikation mit den genannten Patientengruppen systematisch zu erleichtern, führt über die eingangs erwähnte „Einfache Sprache“ oder die noch stärker simplifizierte „Leichte Sprache“. Während sich die Einfache Sprache an alle Menschen richtet, die Schwierigkeiten beim Lesen und Verstehen von Texten haben, also auch Menschen ausländischer Herkunft, zielt die Leichte Sprache vorrangig auf Menschen mit kognitiven Einschränkungen ab. Für die Einfache Sprache existiert seit März 2024 die DIN-ISO-Norm „Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien“ als Regelwerk [4].

Für die „Einfache Sprache“ existiert seit März 2024 ein Regelwerk.

Die wichtigsten Grundregeln für die Einfache Sprache lauten:

  • einfache, logische Satzstruktur, keine Gedankensprünge,
  • kurze Sätze (zehn bis elf Wörter, mit Nebensätzen fünfzehn Wörter),
  • pro Satz nur einen Gedanken formulieren,
  • auf Passivkonstruktionen verzichten,
  • die Wortwahl der gesprochenen Sprache verwenden,
  • allgemein bekannte, möglichst eindeutige Wörter verwenden,
  • Fremdwörter, Fachbegriffe oder zusammengesetzte Wörter vereinfachen bzw. durch kürzere Wörter ersetzen; eventuell Beispiele anführen,
  • auf Metaphern, Ironie und Redewendungen verzichten,
  • abstrakte Begriffe durch konkrete Ausdrücke ersetzen,
  • alle Abkürzungen ausschreiben.

Von einer Kommunikation, die diesem Regelwerk folgt, können auch Menschen mit geistiger Behinderung profitieren. Der Gesetzentwurf für den im Jahr 2015 als Grundlage für die Schaffung von Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) in Kraft getretene § 119 c SGB V enthielt folgenden Passus, der die Notwendigkeit einer verständlichen Kommunikation unabhängig von der Haftungsfrage unterstreicht [5]:
„Dabei ist zu berücksichtigen, dass der in den Behandlungszentren zu versorgende Personenkreis neben einer zielgruppenspezifischen Diagnostik und Therapie insbesondere auch einer zielgruppenspezifischen Kommunikation durch geeignete Kommunikationsstrategien (einfache Sprache, Bilder, Kommunikationshilfsmittel, Assistenz, etc.)
bedarf.“

Für die „Leichte Sprache“ existiert bis dato kein normierendes Regelwerk.

Für die Leichte Sprache existiert bis dato kein normierendes Regelwerk. Dennoch haben mehrere Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Leichte Sprache, das Netzwerk Leichte Sprache e.V. und die Forschungsstelle Leichte Sprache der Stiftung Universität Hildesheim entsprechende Wegweiser entwickelt, die unterschiedlich detailliert sind. Die wichtigsten Regeln für die Leichte Sprache lassen sich wie folgt subsummieren:

  • kurze Sätze bilden,
  • pro Satz nur einen Gedanken formulieren,
  • die Passivform vermeiden,
  • Konjunktive vermeiden,
  • nicht von der Reihenfolge Subjekt-Verb-Objekt abweichen,
  • den Genitiv durch präpositionale Fügungen mit „von“ ersetzen („das Wartezimmer des Arztes“ wird zu „das Wartezimmer von dem Arzt“),
  • keine Synonyme und Sonderzeichen verwenden,
  • Verneinungen positiv umformulieren („Sie sind nicht krank“ wird zu „Sie sind gesund“),
  • präzise Mengen- und Zeitangaben durch Wörter wie „viel“, „wenig“, „kürzlich“, „vor langer Zeit“ ersetzen,
  • die Anreden „Du“ und „Sie“ wie in der Standardsprache verwenden.

Eine linguistische Betrachtung der Leichten Sprache finden Interessierte in den Ergebnissen und Praxisempfehlungen aus dem Projekt LeiSA (Leichte Sprache im Arbeitsleben) der Universität Leipzig [6].

Empfehlung: Gesprächssituationen planen

Zu einer funktionierenden Kommunikation gehört auch eine gewisse Planung. Sie zahlt sich insbesondere beim Umgang mit dementen Menschen aus, von denen es in Deutschland etwa 1,7 Millionen gibt. Die kommunikativen Fähigkeiten und Gedächtnisleistungen dieser Menschen schwinden kontinuierlich, und es fällt ihnen besonders schwer, sich weniger geläufige Wörter zu merken und zu verarbeiten. Die Empfehlungen zu Sprache und Sprechweise ähneln hier sehr den vorstehenden Regeln für die Leichte Sprache. Für eine funktionierende Verständigung muss aber auch die Begegnung mit dem Patienten auf emotionaler Ebene vorbereitet werden: Authentizität, Wahrhaftigkeit, Wertschätzung und Empathie erleichtern das gegenseitige Verstehen. Eine wichtige Rolle spielen auch eine fokussierte und strukturierte Gesprächsführung, die Vermeidung von Konfrontation, eine vorausschauende Gesprächsführung und Einfühlungsvermögen in die Emotionen des Patienten [7].

Abb. 2: Bei Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen können simplifizierte Sprachmodelle wie
Einfache Sprache oder Leichte Sprache die Kommunikation erleichtern.

Sprachbarrieren zwischen Landessprache und Fremdsprache

Die Rolle der Muttersprache

In einer bevölkerungsstatistischen Auswertung des Mikrozensus 2022 stellte das Statistische Bundesamt fest, dass in Deutschland 27 % der insgesamt 20,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte bei sich zu Hause kein Deutsch zur Kommunikation verwenden. Ein Mensch hat dann eine Einwanderungsgeschichte, wenn er selbst oder beide Elternteile seit dem Jahr 1950 nach Deutschland eingewandert sind. Zu den hiervon abzugrenzenden Kreis der Menschen mit Migrationshintergrund (z. B. Asylbewerber) macht der Bericht keine Aussagen. Insbesondere sind entsprechende Angaben zu Schutzsuchenden aus der Ukraine im Mikrozensus nicht vollständig erfasst. Es darf vermutet werden, dass Asyl- und Schutzsuchende ungeachtet ihrer Herkunftsländer im Alltag noch seltener in deutscher Sprache kommunizieren. Andererseits hat die Auswertung ergeben, dass ein Viertel der Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu Hause ausschließlich Deutsch spricht, gut die Hälfte neben Deutsch noch weitere Sprachen. Unter den Personen, die zu Hause vorwiegend eine andere Sprache als Deutsch zur Kommunikation nutzten, war Türkisch mit 14 % die am häufigsten gesprochene Sprache. Danach folgten Russisch (12 %), Arabisch (10 %), Polnisch (7 %), Englisch (6 %) und Rumänisch (5 %) [8]. Die Studie „Leben mit geringer Literalität“ (LEO 2018) hat außerdem ergeben, dass 12,1 % der Erwachsenen mit einer anderen Herkunftssprache als Deutsch gering literalisiert sind. Von den Erwachsenen mit der Herkunftssprache Deutsch beträgt der Anteil der gering Literalisierten 7,3 % [2].

Welches ist eigentlich Ihre Muttersprache? Als ich diese Frage in einem Übersetzungskurs an eine meiner Studentinnen richtete – sie haderte etwas mit der deutschen Grammatik –, gab sie mir eine verblüffende Antwort: „Ich habe keine.“ Man habe im Familienkreis zu etwa gleichen Teilen Spanisch und Portugiesisch gesprochen. Hier eine Präferenz zu benennen, fiel ihr schwer. Durch Auslandsaufenthalte erwarb sie dann noch gute Englisch- und Deutschkenntnisse, und es könnten durchaus noch weitere Sprachen hinzukommen. Diffuse Sprachidentitäten sind also in einer multiethnischen Umgebung keine Seltenheit.

Was ist nun eine Muttersprache? Darüber gehen die Ansichten auseinander, denn nicht alle Kulturen kennen das Konzept einer „Primärsprache“, die ein Mensch von seiner ersten und wichtigsten Bezugsperson, nämlich der Mutter, übernommen und verinnerlicht hat. Diese Lingua materna mag zwar die Erstsprache sein, sie kann jedoch in ethnisch gemischten Familien oder nach dem Erwerb weiterer Sprachen im Alltag nachrangig werden. Die Vorstellung, dass die meisten Menschen spontan ihre Muttersprache benennen könnten, ist also ein Stück weit ethnozentristisch – sie blendet die Lebenswirklichkeiten zwei- und mehrsprachig sozialisierter Menschen aus. In unserer Gesellschaft wird dieser Gedanke leider auch durch die Nomenklatur des Bundesministeriums für Migration und Flüchtlingswesen (BAMF) verfestigt, das in seinen Angeboten zum Spracherwerb in Deutschland unsensibel von „Deutsch als Zweitsprache“ spricht und somit Menschen aus ausländischen Kulturkreisen die Befähigung zur Mehrsprachigkeit subtil abzusprechen scheint. Das Wort „Zusatzsprache“ wäre eher angemessen.

Interlinguale Kommunikationshürden

Als im Juli 2024 ein Kinder- und Jugendarzt am Empfang seiner Praxis in der Nähe von Stuttgart ein Schild mit der Aufschrift „Wir sprechen hier in der Praxis ausschließlich Deutsch!“ anbrachte, war die mediale Empörung groß. Doch der Mediziner hatte dabei keine Diskriminierung und schon gar keinen Rassismus im Sinn gehabt und konnte glaubhaft machen, dass es ihm um nichts anderes als eine rechtliche Absicherung gegen Situationen ging, in denen die Sprachbarriere ohne Dolmetscher nicht mehr zu überwinden war. Die Forderung „Deutschkenntnisse oder Dolmetscher“ hat der Mediziner auf dem Schild näher erläutert und dafür positive Reaktionen seiner Patienten erhalten, ungeachtet ihrer Herkunft [9].

Häufige Fehlerquellen sind: Falsche Freunde, Abkürzungen, Kolexifizierungen und kollidierende Wertesysteme.

Stellvertretend für die Probleme, die sich beim Übersetzen zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen im medizinischen Umfeld auftun können, sollen im Folgenden vier besonders häufige Fehlerquellen beschrieben werden: Falsche Freunde, Abkürzungen, Kolexifizierungen und kollidierende Wertesysteme.

Falsche Freunde

Die sogenannten „falschen Freunde“ gehören zu den klassischen Fehlerquellen in der Sprachmittlung. Man versteht darunter zwei Benennungen, deren Schreibweisen identisch oder sehr ähnlich sind, zwischen zwei Sprachen jedoch unterschiedliche Bedeutungen haben. Sie sind insbesondere bei Relaisübersetzungen unter Zuhilfenahme des Englischen tückisch und können zu gefährlichen Missverständnissen führen. Ein klassisches Beispiel ist das englische Wort „physician“. Die Versuchung, dieses Wort mit dem deutschen Wort „Physiker“ gleichzusetzen, ist für Laien groß. Es bedeutet jedoch nichts Anderes als „Arzt“ oder „Ärztin“. Ein „Physiker“ oder eine „Physikerin“ bezeichnet man im Englischen als „physicist“. Unerfahrene tappen leicht in solche Fallen, professionelle Übersetzer so gut wie nie. In der Sprache der Medizin sorgen insbesondere die folgenden falschen Freunde immer wieder für Fehlübersetzungen:

Tab. 2: Beispiele für „Falsche Freunde“ in der Sprache der Medizin.

Medizinische Abkürzungen

Abkürzungen können mehrdeutig sein, so kann „EKG“ z. B. „Elektrokardiogramm“ oder „Echokardiogramm“ oder neun weitere mögliche Bedeutungen haben.

Die unter Berufsübersetzern beliebte Datenbank „Beckers Abkürzungslexikon medizinischer Begriffe“ verzeichnet derzeit über 550.000 medizinische Abkürzungen, Akronyme und Symbole [10]. Medizinische Abkürzungen werden sehr häufig in Befunden sowie in Labor- und Entlassberichten verwendet, weil sie Zeit und Platz sparen. In der Kommunikation zwischen Medizinern gleicher Herkunftssprache werden Abkürzungen eher selten zu Missverständnissen führen, da viele Kürzel standardisiert sind und ihren festen Platz in der Medizinsprache haben. Manche Abkürzungen sind allerdings mehrdeutig. So kann etwa beim Vorliegen der Abkürzung „EKG“ nur aus dem Kontext oder aus Fallwissen gefolgert werden, ob damit ein „Elektrokardiogramm“ oder ein „Echokardiogramm“ oder eine von mindestens neun weiteren möglichen Bedeutungen gemeint ist. In der Kommunikation zwischen Arzt und Patient sollte, wo immer möglich, auf Abkürzungen verzichtet werden, auch beim Einsatz von Dolmetschern. Denn die Versuchung, eine unbekannte Abkürzung kurzschlüssig zu interpretieren oder gar unverändert in die Zielsprache zu übernehmen, ist wegen der im Gespräch fehlenden Recherchemöglichkeit groß und kann zu Fehlern führen.

Kolexifizierungen

Sprachmittlung bedeutet immer auch ein Kommunizieren zwischen verschiedenen Wahrnehmungen der Welt. Studien zeigen, dass diese Wahrnehmungen die eigene Muttersprache prägen und verändern können. Wenn wir ein wenig über den Tellerrand unserer eigenen Sprache hinausschauen, so können wir feststellen, dass es neben dem uns bekannten Gefüge aus Sprache, Denken und Wirklichkeit noch viele andere Systeme gibt, die in ihrer jeweiligen kulturellen Einbettung ebenfalls funktionieren. So bedienen sich manche Sprachen einer großen lexikalischen Vielfalt, um Dinge differenziert zu benennen, während andere Sprachen ihren Wortschatz anscheinend ökonomischer einsetzen. Im Deutschen kennen wir zum Beispiel nur das eine Wort „Onkel“, um einen Mann zu bezeichnen, der zu anderen Familienmitgliedern in einem bestimmten Verwandtschaftsverhältnis steht – man spricht dann von einer „Kolexifizierung“. Andere Sprachen verwenden dagegen verschiedene Wörter, je nachdem, ob es sich um den Bruder des Vaters, den Bruder der Mutter, den Mann einer Schwester oder eines Bruders, einen Stiefvater usw. handelt. In einigen Sprachen wird hier auch beim Alter differenziert, sodass weitere Benennungen entstehen. Und es gibt sogar Sprachen, die überhaupt keine Wörter haben, die unserem deutschen Wort „Onkel“ entsprechen würden.

Je nach Sprache können Wörter eine vollständige Struktur oder nur Teile einer Struktur bezeichnen.

Die Interaktion zwischen Weltwahrnehmung und Sprache wirkt auch in entgegengesetzter Richtung: Die Sprache kann unsere Wahrnehmung formen, und dies wird auch in medizinischen Übersetzungen immer wieder deutlich. Das Phänomen ist in allen Ländern zu beobachten und wurde bereits an mehr als 1800 Sprachen systematisch erforscht. So gibt es Sprachen, die zwischen „Fuß“ und „Bein“ unterscheiden, während andere Sprachen eine einheitliche Benennung für die gesamte untere Extremität verwenden, z. B. im Ukrainischen, Rumänischen und Tschechischen. Ein gemeinsames Forschungsteam der Abteilung für Sprach- und Kulturevolution am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und des Lehrstuhls für Multilinguale Computerlinguistik der Universität Passau hat Kolexifizierungen bei der Benennung von Körperteilen – also die Verwendung einer einzigen Benennung für verschiedene anatomische Strukturen – in einer umfassenden Studie genau unter die Lupe genommen. Dazu wurde unter anderem ein Tool namens Lexibank verwendet, das über sogenannte CLICS-Cluster (von Cross-Linguistic Colexifications) eine visuelle Darstellung des Datenfundus und der Relationen zwischen Benennungen, Körperteilen und Sprachen ermöglicht [11, 12, 13].

Mit der Wortfolge „der Fuß des Onkels“ kann also, je nach Herkunft des Sprechers, etwas ganz Unterschiedliches gemeint sein. Nun dürfte in einer medizinischen Notfallsituation die verwandtschaftliche Beziehung zwischen demjenigen, der den Notruf absetzt, und dem Patienten nur selten von Belang sein, wohl aber der Situs der Verletzung. Ob also in der Rettungsleitstelle eine Femurschaftfraktur (mit potenziell tödlichem Blutverlust) oder ein angeknackstes Fersenbein notiert wird, je nach Interpretation des Notrufs, macht für die Dringlichkeit des Ganzen schon einen Unterschied. Auf unerfahrene Dolmetscher und Menschen ohne fremdsprachliche Kenntnisse warten hier also Fallstricke.

Abb. 3: CLICS-Infomap mit den ersten von 358 Kolexifizierungen für „Bein“ und „Fuß“
Quelle: https://clics.clld.org/graphs/subgraph_1301

Kollidierende Wertesysteme

Schwierigkeiten kann auch die mit einer Sprache verzahnte kulturelle und ethische Weltsicht bereiten.

Es liegt auf der Hand, dass Sprachen unterschiedliche Zeichen- und Regelsysteme zur Kodierung von Äußerungen verwenden. Alleine schon das macht eine gelungene Kommunikation zwischen Menschen, die unterschiedliche Sprachsysteme anwenden, zu einer schwierigen und oftmals schier unlösbaren Aufgabe. Doch unter der Oberfläche der inhaltlichen Kodierung bereitet auch die mit einer Sprache verzahnte kulturelle und ethische Weltsicht Schwierigkeiten. Wenn die Gesprächsbeteiligten ohne den Einsatz eines Dolmetschers agieren, z. B. in einer Relaissprache wie Englisch, kann die zum Ver- und Entschlüsseln der verbalen und nonverbalen Äußerungen benötigte Konzentration und gedankliche Anstrengung zu Fehlern und Unschärfen führen. Dann wird in Gesprächssituationen häufig verkannt, dass es unter der Ebene der Äußerungen womöglich eine ausgeprägte Scham gibt, die das Gespräch unmerklich steuert, um etwa eine körperliche Untersuchung zu vermeiden oder intimen Fragestellungen zu entgehen. Es ist z. B. nicht in allen Kulturen selbstverständlich, dass sich Patientinnen ohne die Gegenwart einer weiblichen Assistentin oder Begleitperson von einem männlichen Arzt untersuchen lassen oder unbekleidet zeigen. Solche ethisch-moralischen Phänomene bleiben im Gespräch zunächst verborgen und treten häufig erst durch entsprechende Reaktionen in Erscheinung.

Das Überwinden der Sprachbarriere

Eine Studie aus dem Jahr 2023 zum Umgang mit Verständigungsproblemen in Kliniken hat ergeben, dass der Sprachbarriere auf unterschiedliche Weise begegnet wird. Dazu wurden 103 Kliniken zur Herangehensweise bei Verständigungsproblemen befragt. Mehrfachnennungen waren erlaubt. Von den befragten Kliniken gaben nahezu 100 % an, auf sprachkundige Mitarbeiter zurückzugreifen. Über 85 % der Befragten setzten Begleitpersonen der Patienten als Sprachmittler ein, und digitale Übersetzungsprogramme wurden im Mittel von ca. 70 % der befragten Kliniken genutzt. Für die Aufklärung bei einer nicht lebensbedrohlichen OP sank dieser Wert im Mittel auf ca. 55 %. Auf „telefonische Übersetzer“ (ungeachtet ihrer Qualifikation) verließen sich durchschnittlich ca. 44 % der Befragten. Die Frage, ob es vorstellbar sei, dass es aufgrund von Übersetzungsschwierigkeiten zu Behandlungsfehlern in der eigenen Abteilung gekommen sein könnte, bejahten Kliniken in Städten mit weniger als 150.000 Einwohnern zu 45,9 % und in Städten mit mehr als 150.000 Einwohnern zu 63,4 %. Nur etwa 12 % aller Befragten gaben an, sich im Kontext der Aufklärung beim Vorliegen einer Sprachbarriere rechtlich abgesichert zu fühlen. Eine große Mehrheit der Befragten gab zudem an, es läge kein von der Krankenhausleitung festgesetztes Protokoll zum Umgang mit Patienten mit Sprachbarrieren vor. Verständigungsproblemen wird also auf dreierlei Arten begegnet: durch Laiendolmetscher (Klinikpersonal, Begleitpersonen), durch externe Berufsdolmetscher und durch Übersetzungssoftware [14]. Gemeint ist eigentlich „Dolmetsch-Software“, denn „Übersetzen“ bezeichnet schriftliche Sprachmittlung, „Dolmetschen“ bezeichnet mündliche Sprachmittlung.

Übersetzungssoftware

Wie funktionieren eigentlich Übersetzungsprogramme wie z.B. DeepL, Google Translate oder Papago? Lassen wir diese Frage jemanden beantworten, der es wissen sollte: die von Google entwickelte Künstliche Intelligenz „Gemini“ (ehemals „Bard“). Dieser Dialog bildet den Ablauf einer maschinellen Verdolmetschung überraschend realitätsnah ab und trifft auf alle derzeit verfügbaren Übersetzungsprogramme zu:
Eingegebener Prompt: „Wie funktioniert maschinelles Dolmetschen mit Google Translate?“
Antwort: „Google Translate nutzt fortschrittliche Technologien, um Gespräche in Echtzeit zu übersetzen. Der Prozess kann in folgende Schritte unterteilt werden:

1. Spracherkennung:

  • Die erste Aufgabe besteht darin, die gesprochene Sprache zu erkennen. Google Translate verwendet dafür leistungsstarke Spracherkennungsmodelle, die mit riesigen Datensätzen aus Audioaufnahmen und Texten trainiert wurden.
  • Die Modelle können verschiedene Sprecher, Dialekte und Umgebungsgeräusche berücksichtigen, um die Sprache so genau wie möglich zu identifizieren.

2. Umwandlung von Sprache in Text:

  • Sobald die Sprache erkannt ist, wird die Audioaufnahme in Text umgewandelt. Dies geschieht mithilfe von Spracherkennungstechnologien, die die akustischen Merkmale der Sprache in Textzeichen umwandeln.

3. Maschinelle Übersetzung:

  • Der Text wird dann mithilfe von maschinellen Übersetzungstechnologien in die Zielsprache übersetzt. Google Translate verwendet dabei neuronale maschinelle Übersetzung (NMT), ein fortschrittliches Verfahren, das auf künstlichen neuronalen Netzen basiert.
  • NMT-Modelle werden mit riesigen Mengen an parallelen Texten in verschiedenen Sprachen trainiert. Sie lernen dabei statistische Zusammenhänge zwischen Wörtern und Phrasen in den Sprachen zu erkennen und können so präzisere und nuanciertere Übersetzungen erstellen.

4. Text-to-Speech:

  • Der übersetzte Text wird anschließend in eine Audiodatei umgewandelt, die von der anderen Person gehört werden kann.
  • Dabei kommen Text-to-Speech-Synthesen zum Einsatz, die den Text in gesprochene Sprache umwandeln. […]

Die Ernüchterung folgt dann im letzten Satz einer von Gemini präsentierten „Zusammenfassung“:
„Es ist jedoch wichtig, die Grenzen der Technologie zu kennen und sie nicht als Ersatz für professionelle Dolmetscher in sensiblen oder wichtigen Situationen zu verwenden.“

Maschinelle Übersetzungen sollen nicht als Ersatz für professionelle Dolmetscher in sensiblen oder wichtigen Situationen verwendet werden.

Und in der Beschreibung der einzelnen Verarbeitungsschritte werden bestimmte Problemfelder verschwiegen, die für den Datenschutz und die Haftung im medizinischen Raum eminent wichtig sind. In Schritt 1, also der Spracherkennung, gleicht Google Translate die Äußerungen des Sprechers mit einem Datenfundus ab, den er von Benutzern der Diktiersoftware „Dragon NaturallySpeaking“ erhalten hat. Nutzer dieser Software, die es auch in speziellen Versionen für medizinische Umgebungen gibt, befördern nämlich jedes gesprochene Wort – auch personenbezogene Patientendaten, Befunde, Therapiepläne usw. – in die Google Cloud. Vermeiden lässt sich dies nur, wenn die angebotene Widerspruchsmöglichkeit („opt-out“) bei der Programminstallation erstens als solche erkannt und zweitens aktiviert wird. Dies dürfte jedoch nur selten geschehen, da die entsprechende Rückfrage des Systems vage formuliert ist und die Tragweite des erbetenen und oft genug vom Benutzer abgesegneten Datenabflusses noch nicht einmal andeutet [15]. Außerdem ist festzustellen, dass in Schritt 2, also der Transkription des Gesprochenen in Schrift, etwaige Dialekte eben nicht zuverlässig von der Spracherkennung toleriert werden, schon gar nicht auf lexikalischer Ebene, sondern regelmäßig und reproduzierbar zu Erkennungsfehlern führen. Auch das Herausfiltern von Hintergrundgeräuschen ist primär keine Leistung der Software, sondern des verwendeten Smartphone-Mikrofons und seiner Noise-Canceling-Fähigkeiten.

Die Spracherkennung und die darauffolgende Transkription stellen also die erste potenzielle Fehlerquelle bei der maschinellen Verdolmetschung medizinischer Dialoge dar. Doch auch der 3. Schritt, die eigentliche maschinelle Übersetzung, generiert oft Fehler, die einem professionellen Übersetzer kaum passieren werden. Als besonders tückisch erweisen sich hier die bereits erwähnten Abkürzungen, Synonyme (also gleichbedeutende und an bestimmte Sprachregister gebundene Wörter) sowie die beschriebenen Kolexifizierungen. Alle maschinellen NMT-Übersetzungssysteme sind für ihren „Lernerfolg“ in hohem Maße von englischen Texten und entsprechenden Übersetzungen abhängig. Für Übersetzungen in und aus anderen Sprachen verwenden sie grundsätzlich Englisch als Relaissprache. Systeme, die mit Large Language Models (LLM) trainiert werden, benötigen dagegen überhaupt keine Paralleltexte mehr. Mit ihnen können, ausgehend von statistischen Gegebenheiten ihres englischen Lernmaterials, sogar Texte in bisher unbekannte Sprachen übersetzt werden [16]. Doch in jedem Fall entsteht ein rein mathematisch begründetes Ergebnis, das nicht auf Grammatik beruht. Wo die Mathematik versagt, rät das System oder „halluziniert“, fügt also unsinnige Informationen ein. Zur Veranschaulichung der Fehlerproblematik mag ein Beispiel aus der Geburtshilfe dienen. Stellen wir uns vor, eine schwangere Frau käme zur Kontrolluntersuchung. Diese ergibt, dass sich der Fötus in der II. Schädellage befindet. Im Englischen bezeichnet man diese Lage als „right occiput anterior presentation“ (und eher selten als „2nd cranial presentation“). Da die Schwangere ein paar Brocken Englisch versteht, verlässt sich die Gynäkologin bei der Befundmitteilung auf eine maschinelle Übersetzung mit dem System DeepL. Sie möchte der Frau erklären, in welcher Ausrichtung das Kind sich befindet und fordert von DeepL eine Übersetzung an:

Alle angebotenen Übersetzungsmöglichkeiten sind falsch und teils unfreiwillig komisch, weil DeepL die Einbettung des Satzes in einen medizinischen Kontext nicht wahrnimmt, die entsprechende Fachterminologie nicht parat hat und daher die Übersetzung schlicht und ergreifend rät. Verräterisch ist auch die nicht als solche erkannte und prompt falsch übersetzte römische Ordinalzahl „II.“ – diese müsste als „2nd“ oder „second“ ins Englische übertragen werden. Damit die Ärztin der jungen Frau trotzdem erklären kann, welche Lage ihr Kind einnimmt, umschreibt sie den Befund ein wenig und bittet DeepL erneut um Unterstützung:

Erst jetzt, nach einer Umformulierung in Laiensprache, verläuft der Übersetzungsversuch halbwegs erfolgreich. Hätte die Ärztin die umgekehrte Sprachrichtung benötigt, also von Englisch nach Deutsch, wäre folgendes Ergebnis zustande gekommen:

Auch dieses Ergebnis ist falsch und befremdlich, denn die korrekte Übersetzung wäre „rechte vordere Hinterhauptslage“ (oder eben „II. Schädellage“). Und selbstverständlich „liegt das Baby vor“, ist also vorhanden, was aber rein gar nichts mit seiner Lage im Mutterleib zu tun hat.

Die Verwendung von maschinellen Übersetzungen im klinischen Alltag ist risikobehaftet und kann derzeit nicht empfohlen werden.

Man muss also viele Haken schlagen, wenn man mit solchen Tools regelmäßig eine auch nur halbwegs korrekte medizinische Übersetzung erhalten möchte. Ungefähr zu wissen, worum es geht, reicht im medizinischen Raum nicht aus. Man möchte über die Sprachbarriere hinweg schließlich keinen Small Talk führen, sondern über womöglich lebensverändernde oder lebensbedrohliche Krankheiten sprechen. So fällt auch die Schlussfolgerung der vorstehend erwähnten Studie zum Umgang mit digitalen Übersetzungsprogrammen ernüchternd aus:
„Aufgrund der möglichen Fehleranfälligkeit bezüglich der medizinischen Nomenklatur dieser Übersetzungsprogramme und nicht bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen ist deren Verwendung im klinischen Alltag risikobehaftet und kann derzeit nicht empfohlen werden.“

Laiendolmetscher

Wenn also die Nutzung von maschinellen Übersetzungssystemen im medizinischen Raum zu fehlerträchtig, für Datenabflüsse anfällig und haftungsrechtlich bedenklich ist, wie soll man sich dann helfen, wenn die Sprachbarriere eine Verständigung unmöglich macht? In ihrer Not setzen viele Kliniken, oft unter Zeitdruck, „Hilfsdolmetscher“ ein, und häufig sind dies Bedienstete der Klinik. Diese müssen die benötigte Ausgangs- und Zielsprache beherrschen und Fachkenntnisse mitbringen, die grobe Übersetzungsfehler unwahrscheinlich machen. Zudem sollten sie nicht emotional in das Gespräch gehen, etwa infolge einer Vertrautheit mit der Patientensituation und einer dadurch womöglich entstandenen inneren Bindung zum Patienten. Doch selbst wenn alle notwendigen Voraussetzungen vorliegen, kennt dieser Personenkreis eigentlich nie die Grundregeln für einen erfolgversprechenden Dolmetscheinsatz [17]:

  • Agieren als „Conduit“, d. h. als objektiver und neutraler Kommunikationskanal,
  • Blickkontakt zwischen Arzt und Patient ermöglichen,
  • vollständige und unveränderte Wiedergabe der Äußerungen,
  • Unterbrechen von zu langen Äußerungen,
  • Verdolmetschen auch der unpassenden, schambesetzten oder unlogischen Äußerungen,
  • Nachfragen bei Unklarheiten,
  • Ausblenden der eigenen Einstellungen und Wertungen,
  • Formulierung in der ersten Person.

Selbst wenn die Sprachmittlung durch den Einsatz von Klinikmitarbeitern gelingt, können diese ihren eigentlichen Aufgaben in Bereichen wie Pflege, Verwaltung, Technik oder Klinik-/Praxisorganisation für eine gewisse Zeit nicht nachgehen und müssen ständig damit rechnen, zum Dolmetschen herangezogen zu werden. In Zeiten hoher Personalnot dürfte dies im Kollegium, bei der Klinikleitung und bei anderen Patienten zu Unmut führen.

Häufig werden Begleitpersonen des Patienten als Hilfsdolmetscher eingesetzt, wenn kein sprachkundiges Personal verfügbar ist.

Wenn kein sprachkundiges Personal verfügbar ist, werden häufig Begleitpersonen des Patienten (Angehörige, Freunde oder auch Zufallsbekanntschaften) als Hilfsdolmetscher eingesetzt, um Befunde oder Therapieplanungen (und haftungsrelevante Einverständniserklärungen) zu übersetzen. Auch diesen meist persönlich involvierten Laien fehlt es meist an medizinischem Fachwissen, kultureller Kompetenz in beiden Richtungen, der Kenntnis der vorstehend beschriebenen Grundregeln und nicht zuletzt am Berufsethos eines Übersetzers. Letzteres beinhaltet unter anderem die Selbstverpflichtung zur Genauigkeit, Neutralität und Verschwiegenheit – alles Dinge, die nicht unbedingt in das Kompetenzprofil von Laien fallen. Auch sind die Übersetzungsresultate solcher Gefälligkeitsdolmetscher häufig ungenau oder enthalten bewusste Verzerrungen, etwa um den kranken Angehörigen zu schonen, Sachverhalte subjektiv oder kulturspezifisch einzufärben oder schambesetzte Inhalte zu verschweigen. Der Begriff „falscher Freund“ erhält dadurch eine neue Konnotation.

Abb. 4: Nicht selten wird Pflegepersonal, das eigentliche andere Aufgaben hat, zum Dolmetschen eingesetzt.

Professionelle Dolmetscher

Der Bedarf an Sprachmittlung (speziell Dolmetschen) im Gesundheitswesen ist hoch, entsprechende Fachkräfte sind nicht immer leicht zu bekommen und die im Gemeinwesen bezahlten Honorare sind geradezu lächerlich. Nicht selten wird auf unbezahlte „Ehrenamtliche“ zurückgegriffen, was das Honorardumping weiter befeuert. Dabei könnte die Situation durch eine weitsichtige Planung zumindest etwas entschärft werden. So bieten etwa die offenen Übersetzer- und Dolmetscherdatenbanken von Berufsverbänden wie dem Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e.V. (BDÜ) [18], des Deutschen Verbands der freien Übersetzer und Dolmetscher e. V. (DVÜD) [19] oder der Assoziierten Dolmetscher und Übersetzer in Norddeutschland e.V. (ADÜ Nord) [20] fein konfigurierbare Suchfunktionen, die meist schnell zu lokalen Sprachmittlern mit entsprechender Erfahrung und fachlicher Qualifikation führen. Für Praxen und Kliniken können sich daraus stabile und nachhaltige Kooperationen ergeben, die maximale Rechtssicherheit mit sich bringen. Professionelle Sprachmittler verfügen zudem in aller Regel über eine Berufshaftpflichtversicherung, sodass im Streitfall niemand mit leeren Händen dastehen muss.

Professionelle Sprachmittler verfügen in aller Regel über eine Berufshaftpflichtversicherung.

Fälle, in denen sich medizinische Fehlübersetzungen als sehr kostspielig erwiesen haben, gibt es genug:

  • Ein Türkisch sprechender Patient, dessen Frau bei der Besprechung einer Hüftgelenks-OP dolmetschte, erlitt bei der Operation im Jahr 2015 eine schwere Schädigung und klagte wegen des Behandlungsfehlers und wegen unzureichender Aufklärung. Das Oberlandesgericht Köln gab dem Patienten recht: Der Arzt müsse prüfen, ob der Patient die Aufklärung verstanden habe [21].
  • Eine Berliner Klinik musste im Jahr 2007 einräumen, dass sie wegen einer Fehlübersetzung 47 Kniegelenksprothesen falsch implantiert hatte [22].
  • Ein 18-jähriger Amerikaner, bei dem im Jahr 1980 eine Fehlübersetzung zu einer Fehldiagnose und diese wiederum zu einer Fehlbehandlung führte, erlitt dadurch eine Querschnittslähmung. Die Klinik musste an die Familie eine Entschädigung in Höhe von 71 Millionen US-Dollar bezahlen [23].

Für das Übersetzen und Dolmetschen gibt es eine Art „ungeschriebenes Gesetz“: Übersetzungen, erst recht im medizinischen Bereich, sollen nur von Muttersprachlern angefertigt werden. Wenn mit „Muttersprachler“ jemand gemeint ist, der neben höchster Fach- und Übersetzungskompetenz auch die Kultur, die Mentalität und die Lebenswirklichkeiten des Kulturkreises kennt, in dem die Zielsprache eingebettet ist, dann mag diese Regel ihre Berechtigung haben. Doch wie wir gesehen haben, hat schon der Begriff der Muttersprache etwas Diffuses an sich. Bedenkt man zudem, dass es an deutschen Hochschulen nur für wenige Sprachen Ausbildungsgänge für Sprachmittler gibt, die zudem uneinheitlich und alles andere als flächendeckend sind, relativiert sich die Bedeutung des Muttersprachenprinzips schnell. Mehr noch: Es verselbständigt sich und wird zum vermeintlichen Schlüsselkriterium für Übersetzungskompetenz.

Von Angehörigen der Heilberufe und ihren Standesvertretungen – und auch vom Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) – wird schon seit Jahren gefordert, den Weg für eine Kassenabrechnung von Übersetzungs- und Dolmetschleistungen im Gesundheitswesen freizumachen. Geht es nach dem Koalitionsvertrag der regierenden Ampelkoalition, sollen solche Leistungen und eine Staatshaftung für Kommunikationsmängel in der Medizin zukünftig Bestandteil des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) werden. Ob es allerdings zur baldigen Umsetzung dieses Vorhabens kommt, ist ungewiss – noch hat sich in dieser Richtung nämlich nichts getan. Es wäre jedenfalls ein Schritt nach vorn, denn dann wäre auch der Weg frei für die Festlegung verbindlicher, einheitlicher Qualitätskriterien und Qualifizierungsmodelle. Ganz abgesehen von einem gesetzlich geregelten Honorarsystem, wie es etwa auf dem Gebiet der juristischen Sprachmittlung im Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) festgeschrieben ist. Wichtige Aspekte der medizinischen Sprachmittlung per Gesetz zu regulieren, könnte auch das unheilvolle Szenario einer zunehmend maschinellen Sprachmittlung im Gesundheitswesen abwenden.

Fazit für die Praxis

In der täglichen Praxis müssen Ärzte und medizinisches Personal sich bewusst sein, dass Sprachbarrieren sowohl bei fremdsprachigen Patienten als auch bei Menschen mit geringer Literalität auftreten können. Diese Barrieren können die Kommunikation erheblich erschweren und das Risiko für Missverständnisse und Behandlungsfehler erhöhen. Um dem entgegenzuwirken, sollte eine einfache und klare Sprache verwendet und Fachjargon vermieden werden, wobei die Ausdrucksweise dem Sprachverständnis des Patienten angepasst sein sollte. Das Verwenden von „Einfacher Sprache“ kann hierbei besonders hilfreich sein. Wenn Sprachbarrieren durch mangelnde Deutschkenntnisse bestehen, ist es ratsam, professionelle Dolmetscher hinzuzuziehen, da der Einsatz von maschinellen Übersetzungsprogrammen oder Laien oft unzuverlässig ist und das Haftungsrisiko erhöhen kann. Schriftliche Materialien wie Aufklärungsbögen oder Medikationsanweisungen sollten in einer verständlichen Form verfasst und, wenn möglich, in „Einfacher Sprache“ oder „Leichter Sprache“ zur Verfügung gestellt werden. Bei komplexeren Fällen, insbesondere bei Patienten mit kognitiven Einschränkungen oder Demenz, sollte das Gespräch gut vorbereitet und strukturiert sein. Eine einfühlsame und geduldige Gesprächsführung ist entscheidend, um Missverständnisse zu vermeiden. Diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Verständlichkeit zu erhöhen, das Vertrauen der Patienten zu gewinnen und rechtliche Risiken zu minimieren.

Quellen

  1. ARD Mediathek: https://ogy.de/982n
  2. Anke Grotlüschen, Klaus Buddeberg (Hrsg.): LEO 2018: Leben mit geringer Literalität. wbv Media GmbH & Co. KG,
    Bielefeld. E-Book (PDF) im Open Access: https://www.wbv.de/shop/openaccess-download/6004740w
  3. Schaeffer, Doris; Vogt, Dominique; Berens, Eva-Maria; Hurrelmann, Klaus (2016): Gesundheitskompetenz der
    Bevölkerung in Deutschland. Ergebnisbericht. Universität Bielefeld. Bielefeld. Online verfügbar unter https://m-pohl.
    net/sites/m-pohl.net/files/2021-02/HLS-GER%201.pdf, zuletzt geprüft am 20.08.2024.
  4. DIN ISO 24495-1:2024-03 Einfache Sprache – Teil 1: Grundsätze und Leitlinien (ISO 24495-1:2023). Berlin: Beuth.
  5. Drucksache 18/4095 – 152 des Deutschen Bundestags – 18. Wahlperiode vom 25.02.2015. https://dserver.bundestag.
    de/btd/18/040/1804095.pdf
  6. Bock, Bettina M. 2019. „Leichte Sprache“ – kein Regelwerk. Sprachwissenschaftliche Ergebnisse und Praxisempfehlungen
    aus dem LeiSA-Projekt . Berlin: Frank & Timme.
  7. Holtel, Markus und Neufang, Alexander 2021. „Mit Dementen sprechen“. Deutsches Ärzteblatt. Jg. 118, Heft 1–2
  8. Statistisches Bundesamt. Pressemitteilung Nr. N008 vom 20. Februar 2024.
  9. „Zunehmende Sprachprobleme: Eine Frage der Diagnosesicherheit“. Online-Beitrag des
    Deutschen Ärzteblatts vom 31.07.2024, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/153289/
    Zunehmende-Sprachprobleme-Eine-Frage-der-Diagnosesicherheit
  10. Beckers Abkürzungslexikon medizinischer Begriffe. https://www.medizinische-abkuerzungen.de
  11. Tjuka, A., Forkel, R. & List, JM. Universal and cultural factors shape body part vocabularies. Sci Rep 14, 10486 (2024).
    https://doi.org/10.1038/s41598-024-61140-0
  12. Lexibank: https://lexibank.clld.org/
  13. CLICS-Cluster für „Bein“ vs. „Fuß“: https://clics.clld.org/graphs/subgraph_1301
  14. Zehnder, P., Heberer, J., Schwarz, M. et al. Analyse zum Umgang mit digitalen Übersetzungsprogrammen. Notfall
    Rettungsmed (2023). https://doi.org/10.1007/s10049-023-01253-7
  15. Mutscheller, Armin. „Dragon NaturallySpeaking und CAT-Tools“. Erschienen 2018 in: MDÜ – Fachzeitschrift für
    Dolmetscher und Übersetzer.
  16. „Wir und die digitale Welt: Maschinelle Übersetzung“. Interview mit Vassilina Nikoulin, MÜ-Forscherin bei Naver
    Labs, Grenoble (Frankreich). Erschienen 2021 auf arte.tv unter https://www.arte.tv/de/videos/110863-004-A/
    wir-und-die-digitale-welt
  17. Holtel, Markus; Weber, Heidemarie. „Kommunikation: Falsche Gefälligkeiten.“ Dtsch Arztebl 2018; 115(23): A-1138 /
    B-956 / C-952, https://www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=198379
  18. Übersetzerdatenbank des BDÜ: https://bdue.de/suche-uebersetzer-dolmetscher
  19. Übersetzerdatenbank des DVÜD: https://sprachdienstleister.dvud.de/
  20. Übersetzerdatenbank des ADÜ Nord: https://adue-nord.de/
  21. Martin, Mirjam. „Sprachbarriere in der Notaufnahme – Ağrın var mı?“. Dtsch Arztebl 2022; 119(45): A-1956 / B-1626.
    https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=16&aid=228398&s=Notaufnahme&s=Sprachbarriere&s
    =der
  22. Zylka-Menhorn, Vera. „Kniegelenke: 47 Prothesen falsch eingesetzt“. Dtsch Arztebl 2007; 104(34-35): A-2310 /
    B-2046 / C-1978. https://www.aerzteblatt.de/archiv/56696/Kniegelenke-47-Prothesen-falsch-eingesetzt
  23. Foden-Vencil, Kristian. „In The Hospital, A Bad Translation Can Destroy A Life“. Health News from NPR 2014, https://
    www.npr.org/sections/health-shots/2014/10/27/358055673/in-the-hospital-a-bad-translation-can-destroy-a-life

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