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Der Erlkönig und die Patientenakte

08. Juli 2024

Weniger als ein halbes Jahr noch – dann soll jeder gesetzlich Versicherte eine elektronische Patientenakte (ePA) haben. Der Weg dorthin ist ein wilder Ritt, der mitunter an Goethe’s Erlkönig erinnert.

Jeder, der in diesem Land Abitur gemacht hat, kennt wahrscheinlich den Erlkönig. Denn Generationen von Schülern mussten die Ballade auswendig lernen und interpretieren, wie der Mensch mit der Natur und dem Unbewussten kämpft. Für alle die nicht mehr so ganz sattelfest sind: In einer windigen Nacht reitet ein Vater mit seinem kleinen Sohn nach Hause und das Kind glaubt in der Finsternis die Gestalt des Erlkönigs zu erkennen … Mehr Refresher auf Wikipedia.

Ein Blick auf die aktuelle Entwicklung der elektronischen Gesundheitsakte (ePA) lässt gewisse Ähnlichkeiten zur Handlung von Goethe’s Geschichte erkennen: Seit 2021 kann sich jeder für eine ePA anmelden und wir hatten das gleich zum Start in einem heroischen Selbstversuch ausprobiert. Und hatten damals schon das Gefühl, dass es sich dabei um einen Kampf mit den Mächten der Natur und des Unbewussten handeln muss. Frei nach Goethe: Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? … und hörest du nicht, was Erlenkönig mir leise verspricht?

Bei der gematik wollte man den Ball flach halten: Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif … und in dürren Blättern säuselt der Wind. In der Folgezeit gab es verschiedene Adaptationen und bis Februar 2023 hatten sich etwa 1,3 Millionen Menschen um eine ePA bemüht. Der Bundesgesundheitsminister beschloss damals, dass es in diesem Tempo nicht weiter gehen kann und ab Februar 2025 soll die ePA jetzt automatisch für alle kommen, die nicht widersprechen. Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt.

Die Ärzte begrüßen das Vorhaben grundsätzlich, das machte nicht zuletzt eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion auf der DMEA 2024 deutlich. Da die Befunde in der ePA zunächst einmal nicht als strukturierte Daten, sondern als PDF-Dokumente abgelegt werden sollen, befürchtet der Hausärzteverband aber einen chaotischen Start.

Die Bundesvorsitzende des Hausärzteverbands, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, erklärte der Funke Mediengruppe schon mal, wo die Probleme liegen werden: „Die Kolleginnen und Kollegen sowie die Versicherten haben unter anderem mit schier unendlichen Ladezeiten und einem chaotischen Aufbau der ePA zu kämpfen“.  Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan!

Noch sind 6 Monate Zeit bis zum Start, für ein Projekt dieser Größenordnung nicht viel. Vor allem liest man nicht zuletzt aus dem TI-Score der gematik, dass noch längst nicht alle Praxis- und Krankenhausverwaltungssysteme eine Anbindung an die ePA implementiert zu haben. Und bei denen, die sie implementiert haben, scheint sie nicht überall zu funktionieren.

Wie heise online und die Ärzte Zeitung berichten, hat die gematik jetzt stolz verkündet, man habe „Instrumente aufgesetzt, um die Daumenschrauben anzuziehen“ und wenn man ehrlich ist, erinnert auch diese Art der Beschwichtigung an den Erlkönig: Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau. Es scheinen die alten Weiden so grau …

Klar ist: Keiner kann heute vorhersagen, wie der Launch im Januar 2025 wirklich ablaufen wird – ober ob wie bei den ersten Anläufen zum E-Rezept doch noch einer kurz vorher die Notbremse zieht. Im Zweifelsfall wäre das sogar die bessere Option. Denn die flächendeckende Einführung der ePA ist zu wichtig, als dass sie enden durfte wie der Erlkönig: … erreicht den Hof mit Mühe und Not; in seinen Armen das Kind war tot.

Text: Reinhard Merz

Bild: Dall-E für arztCME

 

 

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