Die Medizin in einer allgemeinärztlichen Praxis ist nicht mehr wie früher. Aber viele PatientInnen, insbesondere die Hauptklientel, die SeniorInnen, sind so geblieben.
Die Zeiten, in denen nahezu ausschließlich eine/ein einzelne/r Hausärztin/Hausarzt über viele Jahre ihre PatientInnen begleitet hat, neigen sich dem Ende zu.
Verschiedene Gründe haben dazu geführt, dass es nicht mehr als der Traumberuf gilt, als Selbstständige/r seine Überzeugung von medizinischer Betreuung in der eigenen Praxis zu verwirklichen, zum Wohle der Anvertrauten das eigene, ständig weiterentwickelte Fachwissen auf die individuellen Bedürfnisse anzupassen und damit einen guten bis sehr guten Lebensstandard sicherzustellen.
Insbesondere führt der Generationenwechsel von den geburtenstarken Jahrgängen weg zu einem Rückgang der Zahl der Niedergelassenen. In der Folge gibt es weniger Praxen, zur Bewältigung des PatientInnenaufkommens ist mehr ärztliches Personal erforderlich, und um einer gesunden Work-Life-Balance gerecht zu werden, braucht es noch mehr ÄrztInnen für die verschiedenen Teilzeit-Arbeitsmodelle. Dies führt in vielen Fällen zu einer reduzierten Intensität des Arzt-Patienten-Verhältnisses, es entsteht eher ein lockeres Praxis-Patienten-Verhältnis.
Im Idealfall bedeutet dies keine Mangel hinsichtlich der umfassenden Kenntnis der Krankheitsgeschichte der PatientInnen, wenn eine lückenlose Dokumentation für alle Beteiligten besteht. Dadurch wäre nicht bei jedem neuen Kontakt eine zeitaufwändige Anamneseerhebung nötig, sondern die knappe Ressource Zeit könnte für die Behandlung genutzt werden und schnell eventuell erforderliche Maßnahmen ergriffen werden.
Doch sieht es in der Wirklichkeit oft so aus, dass von wenigen ÄrztInnen viele PatientInnen versorgt werden müssen, wobei bedingt durch den umfassenden Personalmangel in allen Bereichen Arbeitszeit für die Schaffung notwendiger Rahmenbedingungen geopfert werden muss.
Dies führt nicht zu einer Steigerung der Arbeitszufriedenheit. Sollte dies zu einer verminderten Corporate Identity hinzukommen, leidet die Qualität der Behandlung darunter und auch die Bindung der PatientInnen an die Praxis. Daraus zeitigen sich jedoch keine Folgen, da es ein zunehmendes Missverhältnis zwischen Praxen/ÄrztInnen und PatientInnen gibt, sprich die PatientInnen nehmen die Unzufriedenheit in Kauf und schlechtere Qualität hin, da genug PatientInnen nur darauf warten, in einer anderen Praxis bei freiwerdenden Kapazitäten aufgenommen zu werden. Eine Steigerung erfährt die Unzufriedenheit noch, wenn eine weitere Abklärung von Gesundheitsstörungen außerhalb der hausärztlichen Praxis empfohlen und eine Überweisung ausgegeben wird. Die zeitnahe Vorstellung in einer anderen Praxis hat sich in den letzten Jahren zunehmend als unmöglich gezeigt, so dass Bemerkungen wie „da bin ich ja gestorben, bis ich einen Termin kriege“ gängig geworden sind.
Hier sind die neuen Praxisstrukturen gefordert, gute Medizin für alle Beteiligten zu etablieren.
Teil 2 folgt in der nächsten Woche
Autor: Dr. med. Alexander Voigt, 62, aus Würzburg.
Seit fast vierzig Jahren im Gesundheitswesen tätig, schloss Dr. Voigt 2023 nach 24 Jahren seine Hausarztpraxis ohne Nachfolger, da sein Verständnis von hausärztlicher Tätigkeit mit sprechender Medizin, Lotsenfunktion und umfassender Versorgung vor Ort inklusive Diagnostik immer mehr in den Hintergrund rückte. Er ist überzeugt, dass man auch in kleinen Praxen mit einer gesunden Work-Life-Balance gute Medizin machen und zufrieden leben kann.
Bild: DALL-E für arztCME