Zertifizierte CME-Fortbildung für Ärztinnen und Ärzte. CME-Punkte sammeln. Kostenfrei. service@arztcme.de

MedicalLearning – Blog zur Zukunft der medizinischen Information

Ist Künstliche Intelligenz in der Psychiatrie ein NoGo?

27. November 2024

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wird in allen Bereichen der Medizin kontrovers diskutiert. Aber nirgendwo liegen die Welten soweit auseinander wie in der Psychologie und Psychiatrie. Ein Bericht vom DGPPN-Kongress in Berlin.

Digitale Anwendungen eröffnen in vielen Bereichen von Psychiatrie, Psychotherapie  und Neurologie neue Möglichkeiten. Der aktuell in Berlin stattfindende Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) widmet sich unter dem Leitthema „Psychische Gesundheit in Krisenzeiten“ auch diesen Aspekten.

KI-Systeme können große Datenmengen analysieren und Muster erkennen, die auf psychische Erkrankungen hindeuten. Dies ermöglicht eine frühzeitige Identifikation von Risikopersonen und die Implementierung präventiver Maßnahmen. Durch die Analyse individueller Patientendaten kann KI ferner dazu beitragen, maßgeschneiderte Behandlungspläne zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Merkmale des Einzelnen abgestimmt sind.

Die Digitalen Gesundheitsanwendungen für Patienten mit Depression gehörten vor Jahren zu den ersten dauerhaft verordnungsfägigen DiGAs überhaupt. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe davon sowie auch für andere neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Das DiGA-Verzeichnis beim BfArM (LINK) listet u.a. DiGAs bei Panikstörung, Insomnie, Stress und Burnout, Agoraphobie, sozialer Phobie, Borderlin-Störung, Binge-Eating, leichter kognitiver Störung und Suchtkrankheiten. Diese Interventionen können die Behandlungsergebnisse und damit auch die Versorgungsqualität verbessern. Für viele Patienten ist ein solches niedrigschwelliges Angebot überhaupt der einzige Zugang zu einer Versorgung.

Während DiGAs überwiegend positiv beurteilt werden, gehen die Meinungen der Experten bei anderen KI-gestützten Tools schon weiter auseinander. Etwa bei befundomat.de, einem Internetportal, das differenzierte psychopathologische Befunde erstellt und Mediziner bei der Dokumentation von Untersuchungsbefunden unterstützt. Im Rahmen des Kongresses wurde ein neuer Vorschlag für die psychopathologische Befundung vorgestellt.

Für Kritiker wirft die Verarbeitung sensibler Gesundheitsdaten durch KI-Systeme nicht nur Fragen zum Datenschutz und zur Datensicherheit auf. Es besteht durchaus realistisch auch die Gefahr, dass KI-Systeme „Vorurteile“ aus den Trainingsdaten übernehmen und verstärken, was zu diskriminierenden Entscheidungen führen kann.

Zudem gilt die therapeutische Beziehung zwischen Patient und Therapeut als zentraler Bestandteil der psychischen Gesundheitsversorgung. Selbst Befürworter einer KI-Unterstützung sehen es daher problematisch, dass eine therapeutischen Arbeit, die sich nur auf das gesprochene Wort bezieht und das nichtsprachliche Verhalten außen lässt, wichtige Teile einer Pesönlichkeitsbeurteilung unterschlagen wird.

PD Dr. Wolfgang Jordan vom Klinikum Magdeburg hat das in seinem Vortrag „Eine kritische Reflexion über den Einsatz von Maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz in der Psychiatrie“ diskutiert: „Machine Learning funktioniert auf Basis von Big Data. Der Mensch hingegen … ist darauf angewiesen, mit möglichst geringen Daten und Versuchen auszukommen, mit Small Data. Diagnosesysteme und Therapien, welche die interpersonelle Dimension psychischer Störungen vernachlässigen, sind vielleicht selbst das Problem und nicht der Betroffene.“

Wie lässt sich das lösen? Dr. Jordan hatte einen Vorschlag parat: „Der in einem Digitalrechner installierten, auf reiner Mathematik basierten Software fehlen die Freiheitsgrade für eine Genese. Eine andere Bauweise mit einem Computer, der aus analogen Elementen besteht, die in neuronalen Netzen zusammengeschaltet werden, könnte diese befördern.“

Auf ein neuronales Netz aus analogen Elementen werden wir womöglich lange warten, aber klar ist: Die Analyse von Persönlichkeitsdaten ist nicht mit der Analyse von Bild-oder Labordaten zu vergleichen. Die Integration von KI in die psychische Gesundheitsversorgung muss kritisch reflektiert werden. Auch in den nächsten Jahren versprechen die DGPPN-Kongresse hier spannende Diskussionen.

Text: Reinhard Merz
Bild: Dall-E für arztCME

In einer früheren Version des Beitrags hieß es, dass auf dem Kongress eine neue Version von befundomat.de vorgestellt werden soll. Tatsächlich wurde ein neuer Vorschlag für die psychopathologische Befundung vorgestellt.

Weitere Beiträge …