Letzte Woche fand in Berlin der 35. Deutsche Krebskongress statt unter dem Motto „Schnittstellen zwischen Innovation und Versorgung“. Mehr als 10.000 Teilnehmer in Präsenz und zur Eröffnung stand auch Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach auf der Rednerliste. Und Lauterbach hielt sich nicht lange an den üblichen Grußworten fest, sondern gab in einer mehr als 40-minütigen Rede seinen durchaus emotionalen Ausblick auf die zukünftigen Entwicklungen in der Onkologie. Hier ein paar Highlights:
Wissenstransfer darf nicht nur von der Grundlagenforschung in die Versorgungspraxis laufen, sondern muss auch umgekehrt funktionieren. Denn in den klinischen Studien sind Patient*innen mit relevanten Komorbiditäten meistens ausgeschlossen, im Versorgungsalltag sind sie aber die Regel, nicht die Ausnahme. „Wir müssen auf die Wissen generierende onkologische Versorgung achten“, so Lauterbach wörtlich, „deswegen tragen alle in Forschung und Klinik oder Praxis tätigen Mitarbeiter zur Generierung onkologischen Wissens gleichermaßen bei.“
Der Nationale Krebsplan definiert den Rahmen der onkologischen Behandlung, aber jetzt nach 15 Jahren ist eine Neuausrichtung erforderlich. Zu den Plänen für die Zukunft gehört ein flächendeckendes klinisches Krebsregister, in dem die Daten der epidemiologischen Krebsregister mit den Abrechnungsdaten der Kassen zusammengeführt werden.
Das Innovationsfond-Projekt „Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren“ (WiZen) hat die Wirksamkeit der Gesundheitsversorgung bei den häufigsten Krebserkrankungen in den Jahren 2009 bis 2017 untersucht. Analysiert wurde insbesondere das Überleben der Krebspatienten nach Behandlungen in Krankenhäusern mit und ohne Zertifizierung als onkologisches Zentrum. Bei allen betrachteten Krebsarten wiesen die risikoadjustierten Modellierungen auf Überlebensvorteile von Patienten in DKG-zertifizierten Zentren hin.
Präventionsmedizin ist angesichts der demografischen Entwicklung unumgänglich. 40% der Krebserkrankungen sind durch präventive Maßnahmen erreichbar – doch die Realität sieht anders aus. „Wir müssen unser Augenmerk auf die Überschneidung von Risikofaktoren werfen“ fordert der Minister. „Ob bei der Krebserkrankung, bei Diabetes, bei kardiovaskulären oder neurodegenerativen Erkrankungen. Die Risikofaktoren sind immer die gleichen: Rauchen, Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, falsche Ernährung und Übergewicht“. Ein neu zu gründendes Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit soll hier für mehr Tempo sorgen.
Beim Thema der digitalen Medizin wurde der Minister persönlich. „Vor 20 Jahren habe ich in der Vorbereitung eines Wahlprogramms für den damaligen Kanzler Gerhard Schröder mit am Konzept für die elektronische Gesundheitskarte (eGK) gearbeitet, die dann später zur elektronischen Patientenakte (ePA) wurde. Das war der Startschuss für die Digitalisierung. Wir sind jetzt zweistellige Milliardenbeträge weiter und ich hätte mir vor 20 Jahren niemals vorstellen können, dass wir heute noch nicht über dieses Instrument verfügen. Wir haben eine Struktur, die das nicht gut umsetzt. Und deshalb brauchen wir Veränderungen.“ Sein Forderungen sind klar: Wenn die Politik will, dass etwas schnell kommt, muss die Politik auch die volle Verantwortung übernehmen. Und darf sie nicht, wie bisher, der Selbstverwaltung überlassen. Die gematik soll deshalb zum Bundesinstitut werden.
Als nächstes soll es bei der ePA eine opt-out-Regelung statt der bisherigen opt-in-Regelung geben. „Mit opt-in bekommen wir niemals die Abdeckung, die wir benötigen“ ist sich der Minister sicher. Der Datenschutz soll seiner Meinung darin angemessen sein, „aber die Latte darf nicht so hoch liegen, dass es nicht mehr funktionieren kann. Wenn ich Patientenschutz will, muss ich beim Datenschutz auch Kompromisse eingehen.“
Wir brauchen vernünftige Konzepte für die Einbindung von künstlicher Intelligenz (KI) in die onkologische Versorgung. Während wir heute das Problem haben, dass wir zu wenige Daten generieren, wird schon bald ein neues Problem auftreten: zu viele Daten. Die Daten von Genom- und Expressionsanalysen auf Patientenebene sind so umfangreich, dass sie mit normalen statistischen Auswertewerkzeugen nicht mehr zu bearbeiten sind – sondern nur noch mit Hilfe von künstlicher Intelligenz. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Zahl der Krebspatienten bis 2035 nochmals um ca. 25% ansteigen und zum Schluss seiner Rede forderte Prof. Lauterbach daher eindringlich: „Wir müssen die Versorgung weiter verbessern.“